Motivforschung
Zu ergründen, warum Menschen Fußballspiele besuchen, ist die Sache von Soziologen. Aus Anlass dieses letzten Spiels gegen Altach und der Kommentare danach, war es mir ein Anliegen, als Nicht-Soziologe (und daher gut zum dritten Motiv passend) drei Motive zu nennen.
- Liebe und Hass für dieselbe Sache
- Wichtigkeit des Kleinen Mannes
- Gewicht von Urteilen
Liebe und Hass
Es ist eigenartig, dass Menschen, die jedes Spiel von Rapid besuchen, sehr oft wild über Spieler und Trainer herfallen. Der Rat, man möge doch zu einem anderen Verein wechseln, kommt nicht gut an. Dieses Nörgeln (positiv ausgedrückt) ist offenbar Teil des Wiener Fußballherzens. Aber woher kommt das?
Die Protagonisten des Fußballs versuchen sich als Motivforscher und publizieren
„111 Gründe, den SK Rapid zu lieben“, wo dann zum Beispiel zu lesen steht
„Weil mit Richard Kuthan die Goalgetter-Tradition Rapids begonnen hat „.
Liebe also dafür, weil es bei Rapid Goalgetter gibt! Das ist es also!
Und was hat diese Liebe in einem konkreten Fall wie dem Spiel gegen Altach für eine fatale Wirkung?
Kaum ist einmal kein „Kuthan“ am Spielfeld, kippt die Liebe vor dem Spiel in Hass nach dem Spiel; in Hass auf die Trainer, den Vorstand und die Spieler. Die wenig hilfreichen Tiraden als Frustabbau kennt jeder, meist ist man ja selbst davon betroffen. Liebe und Hass dürften zwei Seiten derselben Sache sein.
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Wenn aber jemand nun diesen anlassbezogenen Hass nicht empfindet, liebt er dann seinen Verein nicht genug?
Kleiner Mann, ganz groß
Der Ärger über nicht geschossene Tore ist vereint uns alle, denen Rapid am Herzen liegt. Aber die Urteile darüber fallen sehr verschieden aus.
Die Frage, wie das Gebotene zu bewerten ist, erregt die Gemüter; sowohl in der Kunst, als auch am Fußballplatz. Im ersten Zorn über ein verlorenes Spiel arten die Kommentare aus. Es scheint, als würde Fußball das Innerste der Menschen ans Tageslicht befördern, wie es
Thomas von Kempen (14.Jhdt) auf den Punkt bringt:
„Wie jeder in seinem Inneren ist, so ist sein Urteil über äußere Dinge.
Ob man eine Vernissage, ein Konzert, ein Theater oder ein Fußballspiel besucht: man spricht darüber. Und der Zuschauer schlüpft dabei in eine interessante Rolle. Er ist zwar in allen diesen Aufführungen nicht „vom Fach“, auch dann nicht, wenn er sich – so wie wir Fußballzuschauer – in die Sache vertieft. Dennoch hat er immer auch in Urteil „bei der Hand“.
Wie diese Urteile ausfallen, das wissen wir. Ein sehr auffälliges Beispiel sind Meinungen über Schüttbilder von
Hermann Nitsch, im Bild auf einem Parkhaus im 2. Bezirk, nahe dem Happel-Stadion.
Von
Maclemo –
Eigenes Werk,
CC BY-SA 3.0,
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Ein Fußballspiel macht den Zuschauer zum Richter über Wahr und Falsch; er wird zum wichtigsten Juror über das Geschehen – wenigstens für die 90 Minuten des Spiels.
Der Kleine Mann neigt – mangels tieferer Einsichten – zur Marginalisierung des Gebotenen – egal ob in der Kunst oder im Fußball. Diese Abwertung der Maler zu „Schmierfinken“ und der Spieler zu „unfähigen Ostbahnkickern“ erhöht den Kleinen Mann zum eigentlichen Chef, der er ansonsten nicht ist.
Erst wenn Spieler und Trainer vor und nach dem Spiel unabhängig vom jeweiligen Ergebnis gesehen werden, hat man eine Chance, den Gründen für Sieg oder Niederlage auf den Grund zu gehen – und erst dann zu urteilen, wenn es unbedingt sein müsste.
Fredy Bickel hat bei der Generalversammlung die Kündigung von
Damir Canadi als einen sehr bitteren Moment geschildert und letztlich ohne eigentlich zu urteilen. Weil für die letztlich Verantwortlichen ein Urteil im Sinne von „guter Trainer“, „schlechter Trainer“ nicht hilfreich ist, wenn es um das Überleben des Vereins geht. Und dass
Canadi Qualitäten hat, das hat er vor Rapid und nach Rapid bewiesen.
Welches Urteil hat Gewicht?
Urteilen dürfen und sollen natürlich alle, dazu sind öffentliche Aufführungen aller Art schließlich da, wichtig ist aber das Gewicht, das ein solches Urteil hat, das es zum
richtigen Urteil macht.
Marc Aurel meint dazu:
„Man muss erst so manches gelernt haben, ehe man über die Handlungsweise eines anderen richtig urteilen kann.“ Man sieht am Zeitalter der Zitate, dass es sich um ewige Themen der Menschheit handelt.
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Ob daher ein Schüttbild Kunst ist oder eine Mannschaft Bundesliganiveau hat, das können in letzter Konsequenz nur jene richtig bewerten, die eben „vom Fach“ sind: studierte Künstler, ausgebildete Trainer und Fußballer. Regelkunde allein, wie sie etwa bei einem Fernseh-Moderator durchaus gegeben ist, reicht nicht aus, und daher werden Gespräche immer auch mit einem wirklichen Fachmann, einem Analytiker geführt, auch wenn dessen Diktion oft nicht ahnen lässt, dass er wirklich „der Fachmann“ ist. Zufällig ist auch der gerade Geehrte,
Ernst Happel, so ein kontroversieller Typ. Dass seine Sprache an den Kaffeehaustisch gepasst hat, weniger aber ins Studio, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er den Fußball verinnerlicht hat wie kein Zweiter. Auch
Toni Polster, der statt der 40 GB aus dem Geschenkkarton steigt, passt in dieses gestrige Schema. Dagegen ist
Helge Payer einer der jüngeren Generation, der beide Bühnen perfekt beherrscht, die der Medien und die des grünen Rasens.