Verehrung und Verblödung

Verehrung

Die Zuneigung des Anhangs zu seinen Idolen ist bemerkenswert. Wenn man aufgerufen wird, sich für die Spieler des Vereins einzusetzen, geschieht das auch, und die Anhänger bringen sich ein, sei das Wahlverfahren noch so verzerrend. Die Ergebnisse beschreiben dann das Leserprofil des Veranstalters mehr als ihm vielleicht lieb ist.  Die Geschmäcker des lesenden Publikums sind verschieden sogar auf dem Niveau des Boulevards. sport24 (Österreich) berichtet „Totaler Austria-Triumph im oe24-Voting“ und präsentiert Raphael Holzhauser (und mit ihm viele andere Violette) auf Platz 1 in der Gunst ihrer Leser. In der Webausgabe der Zeitung gereicht es nur zu einer Art Erwähnung während man in der gedruckten Ausgabe die genauen Abstimmungs-Tabellen lesen konnte.  Louis Schaub am 5.11.2016 beim Klub der Freunde Die Krone-Leser küren Louis Schaub ein zweites Mal zum Kron-Fußballer des Jahres. krone.at titelt mit „Doppelpack! Rapids Schaub ist Fußballer des Jahres“ und bietet mit der Seite „Der Endstand bei den Herren“ eine tabellarische Darstellung der Endergebnisse. Weil diese Darstellung vollständig ist, können wir auch weitere Details aus der Tabelle ablesen. Etwa gab es 678.086 abgegebene Stimmen und wenn man nun die Stimmen für Spieler der Vereine zusammenzählt, ergibt sich eine interessante Reihung: Abgegeben Stimmen pro Verein (Krone-Fußballerwahl)
Verein Spielerzahl Stimmen
Rapid 19 140.985
Westham 1 112.652
Admira 13 107.302
Mattersburg 16 71.730
Austria 34 62.741
RB Salzburg 19 36.900
Bayern 2 28.196
Ried 8 20.019
Schalke 2 18.990
Leipzig 2 14.496
LASK 9 9.482
Sturm 22 9.264
Innsbruck 7 7.785
Brighton 1 4.256
Wolfsberg 10 4.084
Neustadt 7 3.537
Hartberg 14 2.891
Pölten 8 2.637
FAC 5 2.240
Altach 7 2.233
Kapfenberg 11 2.195
Bielefeld 1 2.081
BW Linz 12 2.002
Wattens 12 1.897
Eine weitere Auswertung zeigt uns, wie sich die 140.985 Stimmen für Rapid auf einzelne Spieler aufteilen
Spieler Stimmen
SCHAUB Louis 125.896
SCHRAMMEL Thomas 4.529
HOFMANN Steffen 3.542
SCHOBESBERGER P 2.127
SCHWAB Stefan 1.954
SONNLEITNER Mario 1.218
JOELINTON 1.006
STREBINGER Richard 168
LJUBICIC Dejan 162
WÖBER Maximilian 105
BERISHA Veton 90
GALVAO Lucas 72
MURG Thomas 43
BOLINGOLI Boli 37
KNOFLACH Tobias 27
MALICSEK Philipp 4
AUER Stephan 2
THURNWALD Manuel 2
DIBON Christopher 1
Noch etwas erfährt man aus der heutigen Krone (31.1.): mit diesem Zuspruch in der Gunst der Anhänger erreichte Rapid mit 26 ersten Plätzen (aus bisher 51 Fußballer-Wahlen) eine absolute Mehrheit aller dieser Wahlen.

Wert solcher Wettbewerbe

Man kann bei diesen Wahlen praktisch beliebig viele Stimmzettel abgeben. Letztliche zeigt die Menge der Stimmen für einen Spieler oder Trainer die Opferbereitschaft der Anhänger. Ich selbst habe an einigen Tagen drei Mail online abgestimmt aber mit unserem Karl kann ich mich nicht messen:

Karl Deix gibt 6.500 Stimmzettel für Louis Schaub ab!

Schon im Vorjahr sammelte Karl mehr als 5.000 Stimmzettel. Und heuer hat es diesen persönlichen Rekord mit 6.500 Stimmzettel noch übertroffen. Solltest Du Karl begegnen (er kommt auch zu Spielen von Rapid II) spendiere ihm ein Bier und erzähle ihm, dass wir uns durch diesen Bericht bei ihm und allen anderen, die sich ganz anonym für Rapid einsetzen! (Karl hat es nämlich nicht mit dem Internet.)

Verblödung

Spätestens seit „My Fair Lady“ wissen wir, dass man nicht als Prinzessin geboren wird; erst die Behandlung als solche macht die Prinzessin! Unsere Verehrung der Spieler wirkt sich also durchaus auf ihre Persönlichkeit aus und nicht jeder kann damit so souverän umgehen wie der Wunschschwiegersohn vieler Mütter, Louis Schaub. Bei vielen der Superstars kommt es zu einer oft bedenklichen Fehleinschätzung der eigenen Wichtigkeit. Aber die Reaktionen des Publikums auf solche Sager wie „Ich verdiene so viel, ich kann Dein Leben kaufen.“ (DiePresse vom 20.6.2012) können durchaus auch zu einem etwas verspäteten Reifungsprozess führen.  Aber was war das? „25.000 Fans kommen wegen mir!“. (Heute vom 30. Jänner 2018).  Stefan Stangl beim Abflug nach Lemberg am 24.8.2015 Es wäre uns in der Zeit als Stefan Stangl noch bei Rapid spielte, nicht aufgefallen, welch seltsame Gedanken sich in dem damals durchaus sympathisch wirkenden Stefan entfalten werden. In der Salzburger Versenkung abgetaucht, ist ihm die frühere Verehrung durch das Rapid-Publikum offenbar schwer abgegangen (Stefan bekam in der Krone-Wahl 51 Stimmen) und er hofft sie in seiner neuen Favoritner Heimat wiederzu erlangen. Allerdings wird er sich dort auf eine Verehrungs-Schmalkost gewöhnen müssen.  Sollte ihn daher sein Trainer am Sonntag zum Einsatz bringen, dann kann er der kollektiven Ablehnung durch den Rapid-Anhang gewiss sein. Und nicht einer der Zuschauer wird „wegen ihm“ gekommen sein, weil sie alle Rapidler sind und solche finanziell motivierte Wechsel so gar nicht goutieren. 

Fußballer ist kein Beruf wie andere

Wer in einem Lohnberuf den Arbeitgeber wechselt, wird weder bejubelt noch ausgepfiffen, das gehört zum beruflichen Alltag. Nicht so bei einem Gewerbe, das eine so große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht  wie es der Fußball tut. Die emotionale Investition Tausender Menschen in die Beziehung zu den Spielern muss von diesen bei ihren Entscheidungen mitgedacht werden. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Spieler von einem Dorfklub zu RB wechselt oder ob es ein Rapid-Spieler ist. Denn ein Wechsel zu einem direkten Konkurrenten verletzt die Gefühle der Massen*) und die frühere Zuneigung schlägt in Abneigung und Hass um. Jeder Spieler weiß das und sollte das bei seinen Entscheidungen berücksichtigen.  Diese für Rapidler nicht gut verdauliche Karriere von Stefan: Sturm -> Wiener Neustadt -> Rapid -> Salzburg -> Austria zeigt uns aber auch, dass wir dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten verschieden sympathisch einschätzen obwohl sie ja immer dieselbe ist. Und auch wenn es beim Publikum im Augenblick gut ankommt, wenn Spieler wappenküssend zum Fanblock eilen, würde ich mir wünschen, dass sie das etwas ehrlicher und weniger theatralisch zelebrieren würden. Diese Beteuerungen einer Zugehörigkeit gehören zum Geschäft, aber für die Anhänger ist es kein Geschäft, für die Anhänger ist es ernst, todernst.  In der Reportage über die Erfolge der Annemarie Moser-Pröll (in der Vorwoche in ORF III) wurde berichtet, dass sie bei der Ankündigung des Karriereendes Morddrohungen erhalten hat und ihr Wohnhaus einige Zeit bewacht werden musste. 

*) „Religiöse Gefühle“

Grundsätzlich bin ich ja ein entschiedener Gegner, einem „Gefühl der Massen“ Gewicht oder gar Recht zuzuweisen. Aber Fußball ist ein Spiel und eine Spielwiese für solche Phänomene und anders als bei den klassischen Religionen sollten solche Gefühle beim Spiel ausgelebt werden können, weil wir sie im sonstigen Alltag so gar nicht brauchen können. 

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