Trainerkarussell
Wir „Teamchefs“ meinen viel zu wissen, und vielleicht stimmt das ja auch, allein wir wissen alles erst im Nachhinein, weil wir angesichts der Wirkungen von vorangegangenen Entscheidungen urteilen.
Es beginnt bei der Interpretation eines Spieles in den zahlreichen „Hätti-wari“-Kommentaren, wenn wir also im Nachhinein wissen wollen, was ein Spieler/ein Trainer hätte besser machen können. Dabei wissen wir ja gar nicht, was bei dieser alternativen Entscheidung sonst alles passiert wäre. Wesentlich ist, dass wir eine Handlung sehen, zu der sich der Spieler wenigstens eine halbe Sekunde vorher hat entscheiden müssen und unsere Erkenntnis bereits die Wirkung der Entscheidung miteinschließt.
Genauso verhält es sich – etwas verlangsamt – mit Entscheidungen der Führungsetage. Einmal entschieden, gibt es kein Zurück mehr; „was liegt, das pickt“, auch wenn es sich einige Tage später als eine fatale Fehlentscheidung erweist. Und die Entscheidungen bezüglich des Trainerpostens bei Rapid waren von ziemlichen Fehleinschätzungen geprägt. Und immer noch leiden wir an der „Erbsünde“ der Kündigung von Zoki beim Einzug ins neue Stadion, und es fühlt sich wie ein Fluch an, den abzuschütteln schwerfällt. Man vermisst Kontinuität und erlebt durch Panik getriebene Entscheidungen, weil mit jedem weiteren Schritt in die Mittelmäßigkeit die Marketing-Botschaft „Rekordmeister“ immer mehr ins Wanken gerät.
Was im Geschäftsfeld „Wirtschaft“ Jahr für Jahr so positiv dargestellt werden kann, gelingt im Geschäftsfeld „Sport“ weniger überzeugend. Wirtschaft ist leichter planbar, aber im Sprot gilt: „Erfolg is a Vogerl“.
Bevor wir uns dem Trainerkarussell bei Rapid annähern, werfen wir einen Blick auf andere Amtsträger.
Amtszeit von Präsidenten
- Ein Bundespräsident ist im Schnitt 8 Jahre im Dienst. (Zwischen 1919 und 2021 zählen wir 96 Jahre und 12 Bundespräsidenten.)
- Ein Rapid-Präsident hat dagegen eine mittlere Amtszeit von etwa 4 Jahren (30 Präsidenten in 123 Jahren).
- Ein Bundespräsident erlebt daher im Mittel zwei Rapid-Präsidenten.
Amtszeit eines Trainers
- Ein Bundeskanzler ist etwa 2,6 Jahre im Amt.
- Ein Trainerjob ist ebenfalls keine Lebensstellung – sieht man von Sir Ferguson bei Manchester United einmal ab. Im Durchschnitt konnte sich in den letzten 20 Jahren ein Trainer bei Rapid zwei Jahre halten, und er absolvierte dabei 98 Spiele. Über die ganze Rapid-Geschichte war die Dienstzeit eines Trainers 2,5 Jahre
- Ein Rapid-Trainer ist etwa so lang wie ein Bundeskanzler im Amt.
- Ein Rapid-Präsident erlebt zwei Trainer.
So ein Trainerjob kennt typischerweise zwei Szenarien an seinem Ende:
- die Kündigung durch den Verein
- die Kündigung durch den Trainer, meist in Folge einer Berufung zu höheren Aufgaben
Jedenfalls ist die Amtszeit eines Trainers bei einem bestimmten Verein keine Lebensstellung, es ist ein Job mit absehbarem Ende. Hat ein Trainer das Glück, dass der Sportdirektor ihm Spieler zur Verfügung stellt, die eine Meisterschaft entscheiden können, dann war der Trainer ein guter Trainer, in allen anderen Fällen wird der Trainer aus Panik gekündigt – so scheint es. Gute Beispiele sind die Meistersaisonen 2004/05 mit Hofmann/Ivanschitz und 2007/08 mit Hoffer/Maierhofer. Dass die Kündigung mit der Leistung des Trainers im Zusammenhang steht, ist nur ganz selten der Fall. Am ehesten könnte man die Rolle des Trainers mit der des „Sitzredakteurs“ im 19. Jahrhundert vergleichen.
Sitzredakteur
Als „Sitzredakteur“ nannte man früher jenen Mitarbeiter einer Zeitungsredaktion, der im Impressum als „Für den Inhalt verantwortlich“ angegeben war. Tatsächlich hatte er die Aufgabe, stellvertretend für seine Kollegen Strafen abzusitzen, die sich aus publizierten Artikeln ergaben, die der Obrigkeit nicht gefallen haben.
Eine vergleichbare Funktion könnte man einem Fußballtrainer zuschreiben. Er wird gekündigt, wenn die Ergebnisse nicht passen, obwohl die Gründe oft ganz woanders liegen.
Rapid-Trainer seit 2001
Punkte Spiele Trainer
1,65 90 Durchschnitt
---------------------------
1,79 210 Pacult +
1,77 151 Barisic -
1,73 67 Djuricin -
1,66 141 Kühbauer ~
1,64 25 Büskens -
1,61 154 Hickersberger +
1,61 82 Schöttel -
1,13 32 Matthäus -
1,09 23 Zellhofer -
0,88 17 Canadi -
Meistertrainer werden abgeworben (+), die meisten anderen werden gekündigt (-). Didi wird bei Rapid immer willkommen sein. (~)
Im Schnitt absolviert ein Trainer bei Rapid 90 Spiele und erreicht dabei 1,65 Punkte.
Die Ansprüche steigen. In der Vor-RB-Ära konnte man mit 1,61 Punkten Meister werden (Hickersberger). Mit diesem Punkteschnitt wird man heute gekündigt.
Ein Trainer mit „Legendenbonus“ hat es leichter. Gogo, der Vorgänger von Didi, wurde mit heute respektablen 1,73 Punkten vom Block in die Wüste geschickt. Diesen Punkteschnitt erreichte Didi punktuell, doch über alle Spiele gemittelt liegt Didi mit 1.66 Punkten klar hinter Gogo.
MTTF / MPTF
Als MTTF (Mean Time To Failure) bezeichnet man im Lebenszyklus eines Produkts jene Zeit, die bis zum Ausfall eines Produkts vergeht. Übertragen auf den Fußball könnte man sagen, dass die Mittlere Zeit bis zum Scheitern eines Trainers bei Rapid etwa 90 Spiele beträgt, schwankend zwischen 151 (Barisic) und 17 (Canadi).
In Anlehnung an dieses MTTF könnte man ein MPTF als die Mittlere Punktezahl bis zum Scheitern eines Trainers bei Rapid bezeichnen. Sie beträgt 1,65 Punkte, schwankend zwischen 0,88 (Canadi) und 1,77 (Barisic)
Grafische Darstellung des Erfolgsverlaufs im Allianz-Stadion
Trainer im Allianz-Stadion
Eigentlich gehört Zoki nicht auf dieses Bild, da er aber der Ausgangspunkt des Trainerkarussells im Allianz-Stadion ist und hier zum Vergleich herangezogen wird, ist er als erster mit dabei.
Erfolgsverlauf
In den folgenden Saisonübersichten wird der gefühlte Erfolgsverlauf durch einen Kurvenzug (grün, rot) dargestellt. Die horizontale blau-strichlierte Linie ist ein Erfolgsmittelwert (-100%…+100%). die Balken auf der Grundlinie sind die Zuschauerzahlen (grün: heim, braun: auswärts) und die „Kugerln“ an der Mittellinie sind die Tore (grün, oben: Rapid, schwarz, unten: Gegner). Auf der Mittellinie wird das Resultat symbolisiert: rot: Niederlage, gelb: Unentschieden und grün: Sieg.
In der Beschriftung steht der/die Trainer, sowie der Erfolgsmittelwert, gemittelt über alle Ergebnisse der Saison. Zum Vergleich: Die Meistersaison 2004/05 wurde mit 40%, die Saison 2007/08 mit 22% Erfolgsmittelwert abgeschlossen. Die erste Saison im Allianz-Stadion war eine der wenigen Saisonen in der Rapid-Geschichte mit einem negativen Erfolgsmittelwert.
Kommentar
In der Planungs- und Bauphase des neuen Stadions konnte Zoki unbeschwert arbeiten, die Entscheidungsträger waren mit Planungsarbeiten beschäftigt. Die Platzierung konnte sich sehen lassen. Doch dann wendete sich das Management dem sportlichen Geschehen zu und wollte – angesichts der zukünftig zu erwartenden Mehreinnahmen – mehr als nur den zweiten Platz. Zoki wurde ein Opfer der Fehleinschätzung der Wirkung des Zaubertranks „neues Stadion“ und „Geld“.
Rapid hatte durch den Stadionbau Aussicht auf ein größeres Budget und konnte damit höhere Gehälter bezahlen, bessere Spieler holen. An dieser Stelle kann man einen Spruch von Frank Stronach abwandeln: „Geld ist nicht alles, man muss es auch richtig arbeiten lassen„: Denn falsch eingesetzt, verpufft das Geld, ohne irgendeine Wirkung gezeigt zu haben. Soforthilfe versprechen leistungsstärkende Verpflichtungen, aber es muss auch die richtige Wahl getroffen werden. Die Liste ist lang: Jelic, Traustason, Guillemenot, Ivan, Pavlovic, Badji, Kitagawa… Die teuren Verpflichtungen erwiesen sich in der Mehrzahl als wenig wirkungsvoll, sodass der Beobachter den Eindruck haben musste, dass vieles auch durch Eigenbauspieler hätte bewerkstelligt werden können. Statt eines Höhenflugs leitete das neue Stadion eine bis heute andauernde Talfahrt ein, und brachte einen bei Rapid bis dahin nicht gekannten Trainerverschleiß.
Büskens folgte seinem Vorgänger wegen des vermeintlich zu geringen Erfolgs. Der Punkteschnitt von Büskens entsprach aber wahrscheinlich dem Leistungsvermögen der damaligen Mannschaft, entsprach aber nicht der Erwartungshaltung des Präsidiums und auch nicht der des Publikums. So einträchtig alle der Meinung waren, dass seine Kündigung richtig war, so falsch war die Entscheidung. Der geringe Erfolg war wie eine Kränkung der Rapid-Seele, „da muss doch mehr möglich sein“, meinte man. Doch es kam noch schlimmer.
Für die Verpflichtung von Damir Canadi wurde Rapid von der Fachpresse beglückwünscht, doch nur sein guter Ruf bewahrte ihn vor einem vorzeitigen Hinauswurf, sein Punkteschnitt war der niedrigste in der Rapid-Geschichte. Eine 0:3-Auswärts-Niederlage gegen Ried und die Gefahr eines Abstiegs waren denn doch zu viel, man zog die Notbremse. Aus der Sicht eines Beobachters war diese Kündigung die einzige, an der der Trainer auch selbst massiv mitgewirkt hat. Alle anderen Kündigungen hätte man sich ersparen können. Es soll nicht unvergessen bleiben, welche Zufälligkeiten zu einer solchen Trainerbestellung führen. Canadi war ein angesehener Trainer, brachte er doch die Mannschaft von Altach weit nach oben in der Tabelle. Canadi bestellte jenen Kollegen zu seinem Co-Trainer, der sein Altach in einer Cup-Begegnung besiegte: den Trainer von Ebreichsdorf Goran „Gogo“ Djuricin.
Gogo wurde zum Nachfolger von Canadi. Man hat ihm nicht viel zugetraut, war er doch nur ein ehemaliger Regionalliga-Trainer, doch die Ergebnisse unter Gogo konnten sich sehen lassen. Unmittelbar nach dem Trainerwechsel am Ende der Saison 2017/18 machte sich ein deutlicher Trainereffekt bemerkbar. Gogo schaffte den Klassenerhalt. In Verlauf der Saison zeigte der Stürmer Giorgi Kvilitaia mit 11 Toren allein im Sommerhalbjahr seine Qualitäten. Er schoss damit Rapid auf den dritten Platz und sicherte damit auch die Teilnahme am internationalen Bewerb. Doch Kvilitaia verließ Rapid, und es gab keinen adäquaten Ersatz. Es kam, wie es kommen musste, die Ergebnisse waren am Beginn der Saison 2018/19 durchwachsen und nach der dritten Niederlage in Folge und massivem Druck seitens der organisierten Fanszene war Schluss. Diese Kündigung wurde unter dem Druck des Blocks ausgesprochen – aber sachlich begründet war sie nicht.
Ich kannte Didi Kühbauer nicht aus seiner Glanzzeit bei Rapid in den 1990er-Jahren, sondern nur als Spieler und Trainer bei anderen Vereinen. Bei mir hatte er keinen Legendenbonus und daher hatte ich überhaupt kein Verständnis für die Kündigung seines Vorgängers, weil Gogo das Opfer einer weniger konkurrenzfähigen Mannschaft war. Wäre nämlich tatsächlich Gogo an den Ergebnissen schuldhaft beteiligt gewesen, hätte man das nach dem Trainerwechsel sofort sehen müssen (so wie das nach Canadi der Fall war).
Die Ergebnisse unter Didi blieben gleich durchwachsen wie bei seinem Vorgänger, einen Trainereffekt gab es nicht. Mehr noch, Didi hat in seiner ersten Saison alle möglichen Ziele verpasst: die Meistergruppe, den Cup, den internationalen Platz. Dafür kehrte unter Didi Ruhe ein, es gab keine Kritik, auch wenn schlecht gespielt wurde und auch, wenn Didi nie den Punkteschnitt seines Vorgängers erreicht hat. Immerhin beendete Didi die beiden folgenden Saisonen mit einem beachtlichen zweiten Platz.
Mit dem Ende der Saison 2020/21 erlebten wir einen Stimmungswandel in der Mannschaft, der möglicherweise durch die Verhinderung von Abgängen hervorgerufen wurde. Die Stürmer konnten an ihre Vorjahresform nicht anknüpfen, die Torquote war sehr gering und daher der Misserfolg die logische Folge. Man könnte meinen, dass diese „Trotzphase“ der Spieler irgendwann vorbei sein müsste, doch können die schlechten Ergebnisse durchaus ihre demotivierenden Nachwirkungen gehabt haben. Weiters muss man bedenken, dass es keine leichte Sache ist, vier Innenverteidiger vorgeben zu müssen, was sich auch in der hohen Zahl an Gegentoren in dieser Saison zeigt. Und dass die Doppelbelastung ein wesentlicher Faktor sein kann, könnte man mit einem Blick auf den Klassenprimus und seinem letzten Spiel gegen Klagenfurt bestätigt sehen. Schließlich wissen wir alle, wie nachteilig für Rapid viele Entscheidungen in den Meisterschaftsspielen gefallen sind (Elfmeter, VAR). Seitens der organisierten Fanszene gab es keinen Druck auf die Entscheidungsträger.
Alles das müsste man bei einer solchen schwerwiegenden Entscheidung dem Trainer gutschreiben. Dennoch dominierte dort offenbar die Panik vor einem eventuellen Nicht-Erreichen der Meistergruppe, und man suchte das Heil in einem Trainerwechsel, dessen Notwendigkeit sachlich unbegründet scheint.
Auch mit Didi sollte es nicht gelingen, im neuen Stadion Fuß zu fassen und eine Vertrautheit zu entwickeln, die im Hanappi-Stadion selbstverständlich geworden war. Diese Vertrautheit der alten Heimat beruhte auf Erfolgen, an die im neuen Stadion nur höchst selten angeknüpft werden konnte. Symptomatisch dafür ist die lange Zeit nicht gewonnener Heim-Derbys.
Ob wir mit dem erfrischenden Stil im Spiel gegen Ried bereits eine Wirkung der Interimstrainer gesehen haben? Wir werden es nie erfahren, ein einzelnes Spiel sagt gar nichts, un der Neue ist schon da. „Ferdl“, der neue Trainer, hat bereits kommenden Sonntag die Chance, als jener Trainer gefeiert zu werden, der als erster Erfolg in einem großen Wiener Heim-Derby hatte. Wer weiß, vielleicht bringt die Hand des neuen Trainers Rapid dorthin, wohin Rapid gehört: an die Spitze. Als Spieler hat er es schon geschafft!
Als Anhänger von Rapid wünschen wir unserem neuen Trainer einen Erfolg im Derby als Einstandsgeschenk an den Verein, und möge er nicht wie seine Vorgänger gekündigt, sondern im Gegenteil befördert werden, sofern das bedeutet, dass er als ein erfolgreicher Trainer in die Folge der Rapid-Trainer eingereiht wird.
Bin ich froh, dass ich nicht über den Verbleib eines Trainers entscheiden muss! Ich behaupte aber, dass bei vielen dieser Entscheidungen gegen einen Trainer die geringe Punkteausbeute allein dem Trainer angelastet wurde und eventuelle andere nachteilige Randbedingungen zu wenig berücksichtigt wurden. Schließlich sind wir hier wieder am Anfang dieses Artikels: im Nachhinein ist man im Fußball immer gescheiter!