Rapidviertelstunde
Die „Rapidviertelstunde“ ist ziemlich einmalig in der Fußballwelt. Genaugenommen ist es eine ritualisierte Demonstration der allzu menschlichen Weisheit von Mark Twain, dass „ohne die letzte Minute gar nichts geschehen würde“, oder auch, dass dem Menschen mit zunehmenden Alter – und dem Spieler mit fortscheitender Spielzeit – immer weniger Zeit bleibt, Ziele zu erreichen und daher steigern beide – die Menschen am Ende des Lebens und die Spieler am Ende des Spiels – ihre Bemühungen, mit dem Resultat, dass mehr Tore fallen.
Hier wird beschreiben, wie man die Rapidviertelstunde aus den Aufzeichnungen von 111 Saisonen interpretieren kann. Zwei Seiten wurden dafür erstellt:
Ausgewertet werden alle nationalen und internationalen Bewerbspiele.
Kurzfassung
Die Torwahrscheinlichkeit nimmt im Verlauf eines Spiels stetig zu; nicht viel, aber doch. Daher fallen in jedem späteren gleich langen Spielabschnitt mehr Tore als in einem früheren. In der letzten Viertelstunde fallen daher die meisten Tore.
Alles ist statistisch zu verstehen, also durch Mittelwertbildung über viele Spiele, denn im einzelnen Spiel kann alles ganz anders sein.
In der letzten Viertelstunde eines Fußballspiels fallen die meisten Tore, allerdings muss Rapid diese Qualität mit allen anderen Mannschaften teilen, denn die Torhäufigkeit ist für alle Teams in der letzten Viertelstunde am größten.
Der Rapid-Anhang des frühen 20. Jahrhunderts hat diese dramatische Zuspitzung am Ende eines Spiels entdeckt und ein Ritual entwickelt, dass uns diesem Umstand bei jedem Spiel in Erinnerung ruft.
Warum genau man die Dramatik der letzten Viertelstunde gerade bei Rapid entdeckt hat – ganz ohne Statistik – kann man heute nur vermuten aber folgende Erklärungen bieten sich an:
- Coaching-Qualitäten des damaligen Trainers Dionys Schönecker, indem er es geschafft hat, die Mannschaft in der Kabine besonders zu motivieren
- Örtliche Gegebenheiten der frühen Spielstätte in der Selzergasse, also an der nahen Kirchturmuhr, die mit ihrem Schlag, das nahende Spielende ankündigte
- Brauch, in den letzten Minuten die Tore für das weniger zahlungskräftige Publikum zu öffnen
- Überlegenheit der Mannschaft, die dazu führte, dass auch Rückstände in den letzten Minuten ausgeglichen werden konnten
Ein sehr markantes Spiel für das Hochhalten dieser Tradition der Rapidviertelstunde ist der legendäre Sieg gegen den WAC im April 1920, Rapid-WAC 7:5 (2:4). Rapid war bis zur Pause mit 2 Toren im Rückstand und auch noch in der 64 Minute stand es 4:6. Doch in einem furiosen Endspurt drehte Rapid das Spiel auf 7:5. Torschütze aller Tore des Spiels war der Star Josef Uridil.
Dass man die Rapidviertelstunde so benennen konnte, lag an der großen Überlegenheit der Mannschaft in den ersten Jahrzehnten der Liga-Geschichte. Zur Ehrenrettung der Gegner muss man anmerken, dass auch sie in der letzten Viertelstunde ihr jeweiliges Tormaximum erzielten. Doch Rapid hatte in der Endabrechnung meist das glücklichere Ende auf seiner Seite, denn Rapid schoss insgesamt um 80% mehr Tore als die Gegner.
Tore pro Minute
http://klub.rapid.iam.at/rapid/rapid-i/statistik/tore-pro-minute/
Bevor wir zur letzten Viertelstunde kommen, untersuchen wir die Anzahl der Tore in einer bestimmen Minute. Blicken wir auf die jüngere Geschichte, auf die letzten 15 Jahre seit Saison 2008/09.
Der Trend
Rapid schoss während der letzten 15 Jahre 1164 Tore, also um 46% mehr als die Gegner mit 795.
Die größeren grünen Punkte zeigen die Rapid-Tore, die kleineren roten die Tore des Gegners in jeder Spielminute. Rapid ist die deutlich überlegene Mannschaft, denn in den meisten Minuten liegt die Zahl der Rapid-Tore (grün) über der des Gegners (rot).
Die grün punktierte Linie zeigt den Trend der Torhäufigkeit der Rapid-Tore. Diese Linie ist ansteigend, zeigt also die Tendenz, dass die Tore mit zunehmender Spieldauer häufiger werden. Nicht eingezeichnet ist die Trendlinie für die Tore des Gegners, aber sie wäre ansteigend. Weil aber die Torwahrscheinlichkeit von Rapid größer ist, dominiert Rapid (statistisch) über den gesamten Spielverlauf.
Fahrt aufnehmen
Die erste Auffälligkeit ist der Verlauf der Tore in den ersten Minuten. Man hat den Eindruck, als würde es etwas dauern, bis die Spiele auf „Betriebstemperatur“ sind.
Nachspielzeiten
Während in allen anderen Minuten die Zahl der Tore zwischen 5 und 20 liegt, sehen wir in der 45. und 90. Minute mit 30 und 100 deutlich höhere Werte. Der Grund ist die Zählweise. In beiden Halbzeiten kann es zu Nachspielzeiten kommen, und Tore in diesen Nachspielzeiten werden der 45. oder 90. Minute zugerechnet.
Alle Spiele seit 1911
Blicken wir auf alle 111 Jahre seit Saison 1911/12.
Rapid schoss während der letzten 111 Jahre 9137 Tore, also um 80% mehr als die Gegner mit 5076.
Die Überlegenheit von Rapid in diesem viel längeren Zeitraum, der auch die Frühzeit des Fußballs miteinschließt, ist viel größer als in der Gegenwart. Alle roten Punkte (Gegentore) liegen deutlich unter den grünen Punkten, egal in welcher Minute.
Tore pro Viertelstunde
http://klub.rapid.iam.at/rapid/rapid-i/statistik/viertelstunde/
Im historischen Vergleich schneidet die Gegenwart schlecht ab, doch ist ein solcher Vergleich nicht immer angebracht, haben sich doch die Randbedingungen für Fußballspiele in den letzten Jahrzehnten ziemlich verändert. Dennoch ist auch heute Rapid die klar überlegene Mannschaft, doch oft ist diese Überlegenheit nur in der Statistik zu sehen, das Publikum will mehr.
Eine Auswertung, die man nicht nur über viele Saisonen, sondern auch für jede einzelne Saison durchführen kann, ergibt sich, wenn man die Tore nicht pro Minute, sondern pro Viertelstunde auswertet.
Spiele seit 2008/09
In den letzten 15 Jahren wurden in den Spielen von Rapid fast 2.000 Tore geschossen. Davon schoss Rapid etwa 1.200 und die Gegner 800. Das ist schon eine ganze Menge. Fassen wir nun alle Tore einer Viertelstunde zusammen, ergibt sich schon ein gut interpretierbares Bild des Geschehens.
Man kann die Tore sowohl tabellarisch als auch grafisch betrachten und man kann entweder den „Tore-Anteil“ vergleichen (das ist der prozentuale Wert der Tore in einer Viertelstunde) oder die „Tore-Anzahl“ (das ist die wirkliche Anzahl der Tore). Für einen inter-saisonalen Vergleich sollte man immer auf „Tore-Anteil“ einstellen, weil die Anzahl der Tore pro Saison stark schwanken kann.
In der tabellarischen Ansicht kann man die beiden letzten Saisonen gut vergleichen. In der Saison 2020/21 war Rapid in der letzten Viertelstunde mit 27:15 Toren klar im Vorteil, 2021/22 aber mit 19:21 im Hintertreffen (und noch mehr, wenn man die vorletzte Viertelstunde mit 9:14 dazu nimmt. Daher wurde auch in den Zeitungen analysiert, dass Rapid der 60-Minuten-Meister gewesen wäre.
Tore in Minute 0
In der Frühzeit des Fußballs nahm man es mir der Notation der Spielminute noch nicht so genau. Man weiß ein Ergebnis, oft auch die Torschützen, kennt aber den Zeitpunkt nicht, daher steht in den Tabellen dort „0“. In den Tabellen sind diese Tore in der letzten Spalte „?“ erfasst.
Nachspielzeit
Die Nachspielzeit dürfte eine Besonderheit der jüngeren Fußballgeschichte sein, denn wenn man die Verteilung der Tore seit 1911 betrachtet, kann man die Ausreißer in der 45. und 90. nicht erkennen.
Da aber die letzte Viertelstunde um einige Minuten verlängert wird, und Tore in dieser Überzeit der 90. Minute zugerechnet werden, ergibt diese Zählweise ein zusätzliches Gewicht für die letzte Viertelstunde.
ab 2008/09, Grafik, Tore-Anzahl
Die Grafik zeigt nur die Summe aller Tore im betrachteten Zeitabschnitt (hier die Saisonen seit 2008/09). Einzelne Saisonen sind statistisch gesehen nicht sehr aussagekräftig.
Rapid hat in jedem Zeitabschnitt „die Nase vorn“ und schießt im langjährigen Mittel mehr Tore als der Gegner. Allerdings kommen sich die Werte schon sehr nahe – ganz im Gegensatz zu früheren Epochen.
ab 2008/09, Grafik, Tore-Anteil
- 1′..15′: Rapid beginnt stärker als der Gegner
- 15′..30′: Der Gegner wird stärker, Rapid lässt nach
- 30′..45′: Die Intensität des Spiels nimmt zu, die Anzahl der Tore steigt bei beiden, Rapid bleibt im Hintertreffen
- 45′..60′: Rapid beginnt wieder stark
- 60′..75′: Der Gegner holt auf
- 75′..90′: Rapid und Gegner legen zu, doch Rapid mit mehr als doppelt so vielen Toren.
Das ist eine sehr schöne Dramaturgie eines Rapid-Spiels, das es zwar nicht gibt, aber eine mittlere Sicht über Rapid-Spiele illustriert.
Spiele seit 1911/12
Die Langzeitstatistik mit insgesamt mehr als 14.000 Toren zeigt Rapid so stark im Vorteil, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner Rapid in der Endphase des Spiels überholen könnte, sehr gering ist.
Tore und Verwarnungen
Die Häufigkeit von Verwarnungen nimmt mit fortschreitender Spieldauer so wie die der Tore ebenfalls zu, allerdings gibt es in der letzten Viertelstunde gleich 5mal so viele Verwarnungen wie in der ersten Viertelstunde. Siehe „Verwarnungen„
Verwendete Bibliotheken
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