Rapid-Vaduz und die Folgen
0:1 (0:1), Rade Obrenović, 15.000
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Heute war ein trauriger Tag am PC. Als unverbesserlicher Optimist trage ich alljährlich alle internationalen Spiele bis zum Finale im EwkiL-Kalender ein. Es waren heuer 21 Spiele, das Finale wäre in Prag gewesen. Heute, nach sechs Spielen, musste ich die restlichen 15 Spiele aus der Datenbank löschen und den Rapid-Kalender für die laufende Saison an die bittere Realität anpassen.
Die Niederlage war für die Rapid-Familie ein Schock, ein großer sogar. Ein Ergebnis, das man nicht so einfach abhakt. Ich erinnerte mich an ein trauriges Lied von einer schwindenden Zuneigung zu einem Lebenspartner, der die schwindende Qualität des Spiels zum Inhalt haben könnte.
Du bist so traurig anzusehen
Denkst du vielleicht, das find‘ ich schön
Wenn du mich gar nicht mehr verstehst
Und mir nur auf die Nerven gehst?
Ich trinke schon die halbe Nacht
Und hab‘ mir dadurch Mut gemacht
Um dir heut‘ endlich zu gestehen
„Ich kann dich einfach nicht mehr sehen
Du machst eine schreckliche Figur
und gehst mir gegen die Natur“
frei nach Charles Aznavour, ca. 1962, „Du lässt Dich geh’n“.
Aber nachdem der erste Ärger verflogen ist, schaut für uns Zuschauer die Welt wieder anders aus, und das sehr pessimistische Lied wird wieder verdrängt. Unser eigener Alltag wird eben nicht in einer so intensiven Art von Rapid geprägt wie jener von Martin und Christoph.
Wie oft hat es – auch in der jüngeren Vergangenheit – einen ähnlichen Schock gegeben, und niemand ist aus diesem Grund zurückgetreten, auch wenn im Block aufgeregt „Vorstand raus“ getitelt wurde. Man erinnere sich an Famagusta, an den Platzsturm oder an Helsinki.
Die Rücktrittsankündigungen erfolgten viel zu rasch aus dem Erleben des Protests einiger Hitzköpfe unmittelbar nach dem Spiel. Rapid ist aber ein Mitgliederverein, und man könnte doch aus einem so gewichtigen Anlass auch die Mitglieder um ihre Meinung zu diesem Thema befragen, ob diese Rücktritte tatsächlich im Sinne von Rapid sind. Offenbar zählt die Meinung im Block mehr als die der praktisch unhörbaren Mehrheit.
Ich kann nicht erkennen, was die beiden sehr verdienstvollen Rapidler Martin und Christoph mit dieser Niederlage zu tun haben sollen, und warum man gerade ihren Rücktritt fordern sollte. Wir würden mit ihrem Ausscheiden extrem viel Kompetenz verlieren, jedenfalls wäre der Verlust durch ihren Abgang größer als jener durch die verpatzte Europacup-Saison.
Manchmal gewinnt der Bessere
Jede unserer Handlungen und Unterlassungen verändert die Welt aller davon Betroffenen.
Ein Fußballspiel verwandelt Hoffnungen und Befürchtungen in Euphorie oder in ihr Gegenteil. Es ist ein Spiel und – wie die Werbung schon sagt – ist alles möglich, also auch die Niederlage gegen einen vermeintlichen Underdog.
Man orientiert sich am Namen des Gegners und will „drüberfahren“. Dass der Gegner beherzt aufgetreten ist und Rapid derzeit auf der Suche nach der Normalform ist, wird gerne übersehen. Man kann aber Tore nicht erzwingen, man kann nur die Wahrscheinlichkeit für Tore erhöhen. Derzeit liegt die Torhäufigkeit bei Rapid unter 1.0 in 90 Minuten.
Dass der Motor „Rapid“ nicht so recht in die Gänge kommt, mussten wir in den 10 Spielen dieser Saison schmerzhaft erfahren. Allein schon die erste Begegnung gegen Treibach war ein deutliches Zeichen, und die letzten Auswärtsspiele gegen den LASK und gegen Vaduz zeigten, dass sich diese Situation nicht geändert hat. Mit einer Ein-Tor-pro-Spiel-Ausbeute kommt man nicht weit, und wenn dieses Tor einmal ausbleibt, weil man mit einer roten Karte dezimiert ist, ist die Niederlage – wie eben jetzt gegen Vaduz – vorprogrammiert. Rapid besitzt viele gute Spieler aber (noch) kein Team.
Ich erinnere nur an ein kleines Detail aus dem Spiel, an die Chance von Guido Burgstaller und Patrick Greil in der dritten Minute. Wäre zu diesem Zeitpunkt das Tor gelungen, wir würden jetzt über dasselbe Spiel ganz anders urteilen und von einem Rücktritt wäre keine Rede.
Aber der Zufall wollte es, dass aus dieser Chance kein Tor resultierte und ich jetzt diese Zeilen schreibe.
Entbehrliche Wortmeldungen
So, wie vorige Rapid-Trainer zuletzt mit einem eigenartigen Interview zum großen Kader von Rapid zu Wort gemeldet hat und meinte, dass seinem Nachfolger etwas zur Verfügung steht, was ihm seinerzeit verwehrt worden wäre. Er übersieht, dass in diesen kargen Jahren der finanzielle Spielraum für die Kaderplanung tatsächlich sehr klein war und das wahrscheinlich nicht gegen ihn gerichtet war, sondern sich durch die Randbedingungen der Pandemie so ergeben hat.
Auch der vorvorletzte Trainer, der „SRTaZ“*), meldete sich mit einer Anti-Rapid-Position zu Wort, offenbar, um seine damals – nach seiner Meinung – zu Unrecht ausgesprochene Kündigung zu relativieren.
*) „SRTaZ“: mit 0,88 Punkten pro Spiel „Schlechtester Rapid-Trainer aller Zeiten“
Schuldkultur
Wir leben in einer Welt, für die es wichtiger ist, Schuldige zu nennen, statt Gründe für einen Fehler zu erforschen, egal, ob es sich um Migranten, Preise, Klima oder Fußballmanagement handelt. Die Schuld liegt jeweils bei der Regierung, beim politischen Gegner, beim Ausland oder letztlich „beim Vorstand“, die eigentliche Ursache ist nicht mehr im Blickfeld.
Aber eine Menge dieser Probleme entsteht gar nicht allein durch schuldhaftes Verhalten, sondern durch Randbedingungen, die man kaum unmittelbar beeinflussen kann. Und dennoch nennen wir Schuldige, die daran wesentlichen Anteil haben sollen.
Leider ist die Schuldsuche seit vielen Jahrhunderten ein irrationaler Anteil des gesellschaftlichen Diskurses. Wir erinnern uns mit Grauen an Judenpogrome und an die Hexenverfolgungen und tradieren diese Untugend mit Verteufelung der Wissenschaft, mit kollektivem Verfolgungswahn und zuletzt auch in Form der Unterstellung, dass Impfungen von langer Hand geplante Tötungsinstrumente wären. Und das sind nicht nur ein paar Esoteriker, an der Bekräftigung dieser Skurrilitäten beteiligen sich wählbare Politiker dieses Landes.
Besonders tragisch wird es, wenn Beschuldigte den falschen Schluss ziehen, an den Beschuldigungen wäre etwas dran, das sie zu verantworten hätten und geben durch ihren Rückzug, der einem Schuldeingeständnis gleicht, indirekt den Schuldsuchenden recht, so wie wir es bei den verantwortungsvoll erscheinenden Rücktritten des Präsidenten und des Geschäftsführers von Rapid gerade erleben.
Sollte am Schluss einer Ursachenforschung tatsächlich jemand am falschen Posten sitzen, kann man ja handeln, doch bevor es so weit ist, sollten wir andere Sorgen als das Köpfe rollen haben.
Die Gründe?
Nach meiner Ansicht erfolgen die Rücktritte aus Gründen, die nicht bei unseren beiden Freunden Martin und Christoph liegen.
Der Grund für diese Rapid-Katastrophe liegt in zwei belastenden Corona-Jahren ohne Spieltagseinnahmen, eine Phase, die Rapid mehr getroffen hat, als es die damaligen Ergebnisse gezeigt hätten und deren Spätfolgen wir jetzt ausbaden. Der finanzielle Spielraum für Neuverpflichtungen ist immer noch stark eingeschränkt und ablösefreie Spieler waren und sind die erste Wahl.
Oft wird ins Treffen geführt, dass Rapid das zweithöchste Budget in der Liga hätte. Wir müssen aber bedenken, dass Rapid ein Großbetrieb ist und die Last der Personalkosten einen großen Teil des Budgets verschlingt. Es kann also durchaus sein, dass Rapid durch diese Last in den beiden Corona-Jahren sogar weniger Transferbudget aufbieten konnte als vergleichsweise kleinere Mitbewerber.
Kaum in einer früheren Saison wie in der heurigen mussten so viele Neuerwerbungen geholt werden. Die Neuen fügten sich nicht um einen Kern von Stammspielern wie das etwa beim LASK der Fall ist, sondern es wurde praktisch ein komplett neues Team geformt. Wir haben jetzt viele gute Einzelspieler, die einander aber noch zu wenig kennen, und wir haben keine Integrationsfigur, die als Mannschaftszentrum fungieren könnte.
Wir sind – mangels Alternativen – darauf angewiesen, dass sich im Laufe der Saison eine Einheit herausbildet und zu einer Form findet, die wir uns erwarten. Das Personal dazu haben wir, es fehlt nur noch das Team.
Der Block gibt, der Block nimmt
Sowohl Christoph als auch Martin haben – anders als ihre Vorgänger – eine besondere Beziehung zum Block. Der Block verhalf durch seinen kollektiven Auftritt bei der Kampfabstimmung 2019 Martin zur Präsidentschaft. Christoph ist überhaupt ein im Block sozialisierter Rapidler. Beide interpretieren die aufgebrachte Meute nach Spielende offenbar so, als wäre die Gemeinschaft aller Rapidler gegen sie, was aber keineswegs der Fall ist. Jedenfalls ist für beide das feindselige Auftreten ihrer „Freunde“ im Block Grund genug, zurückzutreten.
Erinnern wir uns an frühere, ähnlich gelagerte Rücktrittsaufforderungen „Vorstand raus“. Ein Rudi Edlinger hat das zur Kenntnis genommen, aber da aber es beim Fußball um ein Spiel geht, das kein Präsident der Welt beeinflussen kann, und auch sehr unwahrscheinliche Ereignisse irgendwann – trotz hohem Einsatz – passieren, fühlten sich die früheren Präsidenten von solchen emotionalen Sprüchen nicht wirklich angesprochen.
Michael Krammer hat das bei einer seiner vortrefflichen Reden eingestanden, dass es einen großen Unterschied macht, ob man einen Wirtschaftsbetrieb führt, dessen Produkt berechenbar ist oder dessen Produkt emotionsgeladener Fußballsport mit teilweise extrem zufallsgesteuerten Ergebnissen ist, ein Produkt, das sich jeder Planung und Rechnung entzieht.
Was wir heute erleben, ist doch, dass der Block bestimmt, was bei Rapid zu geschehen hat. Mit einer gewissen Sorge blicke ich daher der Zukunft entgegen, wenn nicht die Rationalität das Handeln bestimmt, sondern die Emotion.
Rücktritt vom Rücktritt?
Warum man es so eilig hatte mit den Rücktritten, ist mir nicht ganz verständlich. Man hätte doch diese gravierenden Entscheidungen auch noch in der Länderspielpause treffen können.
Um Martin müssen wir uns nicht sorgen, er hat den unbezahlten Präsidenten gestemmt und wird uns auch in Zukunft als Edel-Fan beratend unterstützen. Dass Martin für die Verbindung zur Allianz steht, die uns einen guten Teil der Stadionkosten bezahlt, und jetzt für sein Engagement davongejagt werden soll, ist einem Rapidler unerträglich; für mich, nicht für den Block, der den Namen „Allianz-Stadion“ ohnehin nicht goutiert.
Was mich irritiert und sehr berührt, ist die Ankündigung des Rücktritts von Christoph Peschek. Seine Rücktrittsabsicht sollte vom Präsidium zurückgewiesen werden. Christoph ist für uns das personifizierte Rapid. Seine Verbundenheit mit Rapid, sein Engagement im Tagesgeschäft, die vielen Projekte die sein Team für uns Mitglieder realisiert hat, sein soziales Engagement, seine Erfahrung aus mehr als 10 Jahren Management, die bedeutenden wirtschaftlichen Erfolge seines Teams und sein emotionaler Einsatz für die grün-weißen Farben sind für uns nicht ersetzbar.
Ich plädiere sehr dafür diese beiden Rücktrittsabsichten noch einige Male zu überschlafen und Rapid nicht der Regentschaft durch den Mob auszusetzen.
Wir würden mit Martin und Christoph im Management so etwas wie seinerzeit mit Steffen im Fußballbetrieb verlieren und können nur hoffen, dass Rapid ihre Expertise erhalten bleibt, und nicht irgendwelche seeuntüchtigen Landratten die Kapitänsbrücke des unseres Herzensklubs Rapid übernehmen.