Von Königgrätz bis Klagenfurt

Unser deutscher Freund Marcel liebt sein Nationalteam und er scheute keine Mühe, das Spiel in Klagenfurt zu besuchen. Heute gab es die Sendung „Immer wieder Cordoba“ anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums dieses historischen Sieges gegen Deutschland und Marcel wundert sich immer wieder, von wo diese manchmal übertrieben wirkende Freude über einen Sieg in einem ansonst bedeutungslosen Spiel herkommen mag. Das Spiel ist eine Art kompensatorische Verarbeitung des österreichischen Geschichtsbewusstseins, eine historische Projektion längst vergangener Zeiten, eingegraben in tradierte Verhaltensmuster, die es nur hier, in Österreich gibt. Glücklicherweise haben wir das Spiel und können den Erstfall der kriegerischen Auseinandersetzungen ein- für allemal vergessen. Das Spiel ist eine unblutige Erinnerung an Dinge, die wir nie wieder erleben wollen und wenn das so ist, dann freuen wir uns auf jedes weitere Spiel um so mehr. Wer „Cordoba? I wea narrisch!“ sagt, meint „Rache für Königgrätz!“, oder nicht? Es sind sicher nicht viele, die den Bogen so weit spannen. Allerdings muss man das, denn was wäre es schon für ein Mahleur, gegen einen vielfachen Weltmeister im Fußball zu verlieren? Da muss doch mehr dahinter stecken als nur der Fußball, oder?

Erzfeind Ungarn

In den 1950er und 60er Jahren gab es mit großer Regelmäßigkeit Duelle mit Ungarn. Fast in jedem Jahr gab es eines dieser packenden Spiele, und die hatten damals schon eine lange Tradition. Und die Ungarn liegen in diesem Vergleich praktisch uneinholbar mit 67:40 Siegen voran. Uneinholbar deshalb, weil es wegen des sehr dichten Länderspielkalenders in den letzten 20 Jahren nur mehr zu 4 Begegnungen mit Ungarn kam. Wenn es also genau so weiter geht, würde die Länderspielbilanz gegen Ungarn erst nach etwa 100 Jahren ausgeglichen sein, aber auch nur dann, wenn alle diese seltenen Spiele auch gewonnen werden. Man sieht, das ist ziemlich illusorisch, die Ungarn holen wir nicht mehr ein.

Bruder Deutschland

Etwas anders ist es mit Deutschland. Zwar können wir auch dort die Bilanz nicht ausgleichen. Aber gegen den großen Nachbarn gab es insgesamt viel weniger Spiele als gegen Ungarn und die Bilanz war bis 1950 mit 6:3 Siegen sogar positiv für Österreich. Erst nach 1950 kam eine Serie von 11 sieglosen Spielen, die dann vom 3:2 von Cordoba unterbrochen wurde. Im selben Zeitraum gab es fast drei Mal so viele Spiele gegen Ungarn und auch diese Spiele gingen mehrheitlich verloren. Ein Sieg gegen Ungarn ist wegen der düsteren Statistik zwar auch eine Sensation aber ein Sieg gegen Deutschland übertrifft sogar noch einen Sieg gegen Ungarn. Warum?

Bruder Ungarn

Ich meine, das hat damit zu tun, dass es zwischen Österreich und Ungarn 1867 einen Ausgleich gab, der in einer Union zwischen Österreich und Ungarn mündete, in der beide Partner auf Augenhöhe agierten.

Erzfeind Preußen

Doch zwischen Preußen und Österreich gab es 1866 die Schlacht von Königgrätz, die mit einem Schlag eine jahrhundertelange Teilhabe der österreichischen Erblande (des „Cisleithanien“) im Heiligen Römischen Reich (ab 1815 im Deutschen Bund) beendete.

Ein Schlacht stellt Weichen

Der Hauptgrund für die Niederlage wird der veralteten Ausrüstung der Österreicher zugeschrieben und dem modernen Zündnadelgewehr der Preußen. Das stimmt, aber man wusste um diesen Nachteil und wählte daher den Ort der Schlacht sehr geschickt in einem Wald, in dem dieser Vorteil für den Gegner nicht so groß war und tatsächlich ging auch Österreich 1:0 „in Führung“, der Gegner wankte, doch er fiel nicht, denn er hatte noch ein Garderegiment zu Fuß im Talon, das zufällig zum richtigen Zeitpunkt am „Spielfeld“ eintraf und schließlich die Schlacht 2:1 an die Preußen ging. In der traurigen Realität hieß das: 2000 gefallene Preußen und 5000 gefallene Österreicher. Bis zu den Napoleonischen Kriegen stellte das Haus Habsburg den Kaiser im Heiligen Römischen Reich. Die Kurfürsten wählten die Habsburger ganz gezielt. Das Habsburgerreich schützte das Reich nach Südosten und erweiterte sich eher in dieser als in der Gegenrichtung. Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches wurde die Einheit der deutschen Länder nur mehr durch den Deutschen Bund symbolisiert. Das hatte mit dem Aufstieg von Preußen zur Großmacht zu tun und mit dessen hegemonialen Ansprüchen insbesondere gegen Habsburg. Die Schlacht bei Königgrätz beendete eine Jahrhunderte währende Kooperative und hinterließ eine dauerhafte Kränkung mit fatalen Folgen, die bis Klagenfurt nachwirken.

„Die Piefkes kommen!“

Der preußische Militärmusiker Gottfried Piefke komponierte zur Erinnerung an die Schlacht den Königgrätzer Marsch. Er kam mit seinen Musikern, zu denen auch sein Bruder Rudolf gehörte, bis nach Gänserndorf. Das Publikum soll gerufen haben: „Die Piefkes kommen!“ Ob tatsächlich „Piefke„, der Kosename der Österreicher für die Deutschen, so entstanden ist, weiß man nicht genau aber in Gänserndorf wurde Gottfried Piefke im September 2009 ein Denkmal gesetzt.

Kein Geld, kein Sieg

Oft wird die österreichische Militärführung als etwas unterbelichtet dargestellt. Das war sie aber durchaus nicht. Das Pech der Österreicher war, dass man bei der Modernisierung der Truppenteile mit der Marine begonnen hat, etwas, das sich in der siegreichen Schlacht von Admiral Tegethoff bei Lissa, ebenfalls 1866, zeigte. Die Infanterie sollte als nächste Truppeneinheit modernisiert werden, was aber für den konkreten Konflikt zu spät war. Ja, auch unsere Nationalmannschaft ist jetzt in wieder in Form, leider etwas zu spät, um bei der WM dabei sein zu können. Wie sich die Dinge wiederholen, wenn auch in ganz anderem – und viel friedlicherem – Gewand. Das schon seit dem österreichischen Erbfolgekrieg nach dem Tod von Karl VI. erstarkte Preußen hielt nichts von einem Deutschen Kaiser aus Wien und warf Österreich nach Königgrätz vollends aus dem Deutschen Bund. Die Folgen für die weitere europäische Geschichte waren verheerend.

Anschlussgedanke, eine Folge von Königgrätz

Der überall in Europa aufkeimende Nationalismus bekam durch diese Schwächung der österreichischen Erblande eine besonders brisante Komponente, weil man diese ideelle Trennung von Deutschland bis nach dem Zweiten Weltrkieg nicht wahr haben wollte. Die im 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum boomenden Burschenschaften hatten in Österreich viele deutschnationale Gruppierungen, die seit diesem Hinauswurf eine eigenständige österreichische Nation ablehnten (und heute immer noch ablehnen), etwas, das es in Deutschland und in der Schweiz in dieser Form nicht gab und nicht gibt und sich seit diesen Tagen in einer Anschlussidee festsetzte. Hand in Hand mit dem Nationalismus erlebte man in Wien der Gründerzeit einen extremen Fremdenhass und einen extremen Antisemitismus. Der Fremdenhass war deshalb so ausgeprägt, weil die in die Städte strömenden Landflüchter in Wien – anders als in den anderen Metropolen – fremdsprachig waren und daher leicht erkennbar waren, vielleicht so, wie heutige Türken.

Hitlers Wien

Und dieses Biotop war nicht nur die Zündschnur zur Sprengung der Monarchie, sie war auch die Schule eines gewissen Schicklgruber*), der alle diese Ideen bei seinem Weg zur Macht immer im Hinterkopf hatte und nicht gezögert hat, diese Phantasien auch in die Tat umzusetzen. Während alle anderen Nachfolgestaaten der Monarchie an ihrem neuen Staat bastelten, sehnte man sich in Österreich nach wie vor nach der Situation von vor 1866 als man noch Teil der großen Gemeinschaft der Deutschen Fürstentümer war. Daher nannte man sich nach 1918 auch sofort „Deutschösterreich“, ein Name, der im Vertrag von Saint-Germain 1919 in „Republik Österreich“ umgewandelt wurde; mehr noch, in diesem Vertrag wurde auch das Anschlussverbot festgeschrieben. Ein Selbstbestimmungsrecht der Völker wie es damals von US-Präsident Wilson formuliert wurde, fand keine Anwendung.

Sport als Kompesation

Sport war damals noch eine junge Erfindung, aber in dieser Zeit nach dem Ersten Weltkrieg boomte insbesondere der Fußball und es kam zu den ersten Spielen zwischen der frisch geborenen Republik Österreich und den anderen Nachfolgestaaten aber auch mit Deutschland. Die ersten vier Länderspiele gegen Deutschland wurden gewonnen und unter Hugo Meisl wurden in den Dreißigerjahren auch noch zwei Kantersiege mit 6:0 und 5:0 eingefahren. Die Dokumentation in ORF III über Rapid und Austria zeigt, wie es der Fußball geschafft hat, den Arbeitslosenheeren dieser Jahre so etwas wie ein Erfolgerlebnis zu geben.

Wer braucht den Anschluss?

Das Projekt „Anschluss“ des Herrn Schicklgruber*) ist gründlich daneben gegangen. Aber der Anschlussgedanke ist bis in die Gegenwart Begleitmusik im politischen Diskurs in Österreich, wobei man es den Anschlussbefürwortern nicht ganz verdenken kann, dieser Idee zu verfallen. Cisleithanien war jahrhundertelang Teil dieses großen Bündnisses und dieses Bündnis wurde nie hegemonial ausgenutzt**) und wurde in Königgrätz dieser Rolle ziemlich abrupt beraubt. Genaugenommen ist dieser „Anschluss“ im Rahmen der EU längst erfolgt und unser sportliche Wettbewerb ist noch als eine historische Erinnerung an längst vergangene Zeiten geblieben. Damit wir noch viele solcher Spiele wie die „Regenschlacht von Klagenfurt“ erleben können, sollten wir uns also einen Anschluss gar nicht so sehr wünschen. Obwohl, als Anhänger von Rapid schaut das ganz anders aus. Wir würden zwar eine ganz andere Nationalmannschaft – eben die deutsche – haben, aber als neues deutsches Bundesland würden ganz andere Gegner für Rapid nach Wien kommen, die Zuschauerzahlen würden rasant steigen, das Weststadion wäre zu klein und die Einnahmen auf dem Niveau von Deutschland. Eine Art grün-weißes Fußball-Paradies! Schalke, Dortmund und Hertha statt Hartberg, Mattersburg und St.Pölten, das hätte was!

Fußball statt Krieg

Die Bedeutung, die Fußball heute hat, ist faszinierend. Man hat das Gefühl, dass wichtige Ereignisse einfach um einen Monat verschoben werden, um die WM nicht zu versäumen. Einen Monat lang werden Termine nach den Spielterminen der WM ausgerichtet, einen Monat lang blickt die ganze Welt in ein ansonsten wenig bekanntes Land. Dieses Spiel bewegt die Massen und wird daher von den Mächtigen gerne instrumentalisiert. Ein Kommentator im Fernsehen brachte es auf den Punkt, dass man Sympathien auch viel billiger haben kann, indem man einfach keine Kriege führt und Länder anektiert. Auch Sanktionen gibt es dann keine. Der Veranstalter der Fußball-WM investiert große Summen, um sein Image aufzupolieren. Mich würde interessieren, wie viel ihm das Wer wäre, wenn seine Mannschaft zum Beispiel durch die Worte einer Fee Weltmeister werden könnte. Ob er sich dafür aus der Ukraine zurückziehen würde? Keine Ahnung, aber der Sport ist auf einem guten Weg, wichtig genommen zu werden und wer weiß, ob nicht in späteren Jahrhunderten Konflikte auf diese Weise entschieden werden. Was hat also Königgrätz gebracht? Meine Antwort: zwei Weltkriege und eine kurios einseitige Fußballrivalität, die für einen Deutschen nicht ganz nachvollziehbar ist, weil es für den „Anschluss“ dort keine Entsprechung gibt. Klar, das ist sehr vereinfacht und alles ist in Wahrheit sehr kompliziert aber diese Geschichte ist eines von vielen möglichen Bildern, das uns hilft, das heute besser zu verstehen und es versucht, den Anschluss nicht als etwas grundsätzlich Abzulehnendes darzustellen, denn das ist es erst durch die Umsetzung von infantilen Wahnideen geworden. Mit einem Rapidler kann man immer über einen „Anschluss“ diskutierten, wie wir gesehen haben, das könnte auch sehr schöne Seiten haben.
*) Der Vater von Adolf Hitler hieß ursprünglich Alois Schicklgruber, nahm aber 1876 den Namen „Hitler“ an, eine adaptierte Version des Namens seines Ziehvaters „Hiedler„. Alle Spuren zu diesen Verwandten sollten ausgelöscht werden und daher wurde auch 1938 der größte Truppenübungsplatz Europas im Waldviertel errichtet, genau dort, wo die Gräber der Großeltern gelegen sind, in Döllersheim. Was man sich natürlich fragt, warum ein kleines Land wie Österreich einen so großen Truppenübungsplatz benötigt und nicht nach dem Krieg alles unternommen hat, diese Flächen wieder ihren ursprünglichen Besitzern zurückzugeben. Manchmal frage ich mich auch, ob diese europäische Unglück nicht einfach nur durch diese Umbenennung passieren konnte. Hätte der Name „Schicklgruber“ dieselbe Person erzeugt wie die mit dem späteren Namen „Hitler„? Siehe Brigitte Hamann, Hitlers Wien, Piper 1998. **) Ausgenommen die Zeit des Dreißigjährigen Krieges.

Bilder

,

Eine Antwort zu “Von Königgrätz bis Klagenfurt”

Schreibe einen Kommentar