Sündenbock Gogo
Die Forderung
„Gogo raus“, ausgesprochen von Tausenden gleichgeschalteten Block-Insassen, erzeugt eine eigenartige Situation.
Diese Sprechchöre engen den Handlungsspielraum des Präsidiums ein. Denn auch wenn wir uns am Beginn einer Talfahrt befinden sollten, die mit dem kommenden Derby prächtig eingeleitet werden könnte, und auch dann, wenn das Trainerteam daran einen wichtigen Anteil hätte, kann man sich nicht vorstellen, dass das Präsidium der Forderung des Blocks folgen könnte. Dem Präsidium wird durch den Protest diese Option geradezu aus der Hand genommen, denn man kann sich schon die Schlagzeilen ausmalen, die da lauten könnten:
„Rapid geht vor Fans in die Knie“. Nun, bei
Entrup war das nicht viel anders aber bei
Gogo wäre das eine ganz andere Dimension.
Die einfachste Lösung wäre, dass Rapid auf die Siegerstraße zurück kehrt, sich in der Gruppenphase bewährt, dann beruhigt sich die Sache ganz von allein und die „Gogo raus“-Sprüche waren nur eine Episode. Da aber Fußball kein Wunschkonzert ist, können wir bereits am Sonntag eine Neuauflage des „Gogo raus“ erleben und die Situation wird zunehmend schwieriger.
Gleichgeschaltet
Wir sollten uns bei aller Kritik die grundsätzliche Frage stellen, wie man 7000 Anhänger so weit bringt, dass sie uns Woche für Woche mit einem Feuerwerk an Ideen und Einsatz erfreuen oder mit „Gogo raus“ ärgern, je nachdem. Stellen wir uns nur einmal vor, jemand würde auf der Ost-Tribüne ein Transparent auf der Länge von 30 Sitzplätzen ausrollen wollen. Ich glaube nicht, dass das gelingen würde. Von einer größeren kollektiven Aktion ganz zu schweigen.
Die Block-Regel:
„Die einzig geduldete Politik ist die der Kurve“, zeigt uns schon, dass die Blockinsassen bei den Eingangstoren eine eventuelle persönliche Meinung wie einen unerlaubten Gegenstand ins Depot stellen, gegen die Blockmeinung tauschen und sich dann ihre Meinung wieder abholen. Anderswie kann man ja 7000 Individualisten nicht gleichschalten. Dass 7000 Menschen auf Kommando dasselbe tun, das kennt man ansonsten eigentlich nur vom Militär.
Irreale Erwartungshaltung
Die bei allen Mitgliederversammlungen des Vereins gebetsmühlenartig wiederholte Versicherung, man würde alles unternehmen, um Geld zu verdienen und damit Titel zu gewinnen, kombiniert mit dem ständigen Rucksack des „Rekordmeisters“ erzeugt eine Erwartungshaltung in der jüngeren Generation, die in der Realität am Spielfeld keine Entsprechung findet. So ist sie, die Welt der Wirtschaft, dem kann sich auch ein Fußballverein nicht entziehen. Will man Geld verdienen, muss man sich wirtschaftlichen Regeln unterwerfen. Und diese Kluft zwischen der Erwartungshaltung des Anhangs und Realität wird immer größer, man erwartet endlich einen Titel.
Das Problem des Blocks ist die Aufrechterhaltung des Zusammenhalts gegen die Ungeduld in den eigenen Reihen. Und „der Block“ ist ja ein Kunterbunt an Charakteren, das uns nur am Spieltag so einheitlich erscheint.
Angebot
Der Block bietet Gemeinschaft, Bedeutung, Anerkennung, Orientierung, Aufstiegschancen uvam. Der Block bietet aber auch das Ausleben von Neigungen, die außerhalb des Blocks weniger gern gesehen werden. Dazu zählen Alkohol, Drogen, Grafitti, Raufhändel…, kurz Grenzüberschreitungen aller Art, geschützt durch den Block, in ewiger Konkurrenz mit der Polizei. Das alles in einem selbst-definierten „rechtsfreien“ Raum. Der Block verlangt für diesen Schutzmantel Gehorsam. Und dieses Angebot hat einen Markt. Wenn es irgendwo im Stadion Restplätze gibt, dann nicht im Block.
Wer braucht so was?
Warum hat es solche Blöcke nicht schon vor 100 oder vor 50 Jahren gegeben? Meine Antwort ist: Damals wurden Kinder und Jugendliche noch ganz anders behandelt. Das „Geländer“ jeglicher Sozialisation vom Kleinkind bis zum Erwachsenen ist das Erfahren von Grenzen. Irgendwann gab’s damals „a Watschen“ und das Kind wusste, dass hier eine Grenze gezogen wurde. „Watschen“ gibt es nicht mehr, aber deswegen sind Grenzziehungen nicht weniger wichtig geworden.
Kinder, die alles dürfen
Der Urbiotop für unsere Lieblingsproblemkinder im Block dürfte die 68er-Bewegung gewesen sein. Die damals jungen Eltern ließen die konservative und autoritäre Erziehung, die sie selbst noch genossen haben, hinter sich und behandelten ihre eigenen Kinder antiautoritär. Wir alle kennen das, wenn Kinder, die alles dürfen, in einer Gemeinschaft unerträglich werden. Und das waren damals nicht nur einzelne.
Die Kinder der 68er sind ohne diese Grenzerfahrungen erzogen worden, was aber nicht heißt, dass sie diese Grenzen nicht weiterhin suchen. Dem Elternhaus entwachsen, ist es die Gesellschaft, die dieses Anecken aushalten muss. Im Stadion finden sich Gleichgesinnte, die alle unter demselben Erziehungsstil sozialisiert worden sind, und hier können sie diese Grenzüberschreitungen im Kollektiv ausleben.
Dass sich die Ultras im Jahr 1988 formiert haben, würde gut in dieses Erklärungsmodell passen.
Kinder, die nichts dürfen
Die heutige zweite Generation nach den 68ern erlebt ein gegenteiliges Phänomen, das die Erwachsenen von morgen formt, die modernen Helikopter-Eltern können gar nicht genug davon kriegen, die Schritte der Kinder zu begleiten, ihm alles vorwegzunehmen, womit sie eigene Erfahrung sammeln könnten. Es kommt mir vor, als wären auch diese überbehüteten Kinder ein Kandidat für den Block, nämlich endlich in einem Freiraum anzukommen, der mit ganz wenigen Regeln auskommt.
Kinder, die nichts können
Ja, auch das gibt es, und es soll hier nur feststellend und keineswegs abwertend gemeint sein. Der Erfolgsweg komplexer werdender Gesellschaften ist gesäumt von Gestrandeten, die mit den Anforderungen nicht zurecht kommen. Wir kennen sie alle und wir sehen, dass sie im Fußball ein echte Bestätigung bekommen, etwas, das ihnen anderswo verwehrt bleibt. Dieses „gemeinsam mit Rapid siegen“, im Kollektiv Anerkennung finden, die Macht der Masse erleben und dazuzugehören, das kann der Block seinen Mitgliedern bieten.
Kinder, die echt gut sind
Schließlich bleibt eine ganz wesentliche Gruppe, die der Ideologen, der Kreativen und Organisatoren, die Eliten des Blocks. Sie übernehmen die genau gegenteilige Position der „Kinder, die nichts können“. Ihre Fähigkeit, mit den Massen umgehen zu können, bleibt nicht verborgen. Wer die Voraussetzungen für die Rolle eines Vorsängers mitbringt, braucht auch eine große Opferbereitschaft. Beobachtet einmal den Ablauf der Gesänge. Man sieht ohnedies schon schlecht im Block aber der Vorsänger sieht praktisch nichts. Er opfert das, für das wir alle ins Stadion gehen, nämlich das Spiel, für die Akzeptanz seiner Position bei den Anhängern.
„Ego sum servus“ („Ich bin ein Diener“).
Gruppenkitt
Im Normalfall (Rapid gewinnt) genügt schon dieser sehr positive Aspekt. Der Feind am Spielfeld war Feind genug. Doch wenn sie Unzufriedenheit mit dem Gebotenen am Spielfeld zu groß wird, haben es die Capos zunehmend schwerer, dieses „Vollgas für Rapid“ einzufordern. Dann braucht man zusätzliche Feindbilder, um den Zusammenhalt zu gewährleisten. Rational ist das alles nicht.
Irrational
- Dass der Vertrag für Gogo verlängert wurde, zeigt uns doch, dass seine Arbeit OK ist.
- Wie im Beitrag „Rapid-FCSB“ gezeigt wurde, sind die Ergebnisse unseres Trainerteams nicht alarmierend schlecht. Wir alle sind von den Ereignissen der letzten Ligaspiele enttäuscht, aber etwas Neues ist es nicht.
- Unserem Trainer wird angelastet, dass keine Titel geholt werden. Er hat aber den geringsten Anteil daran.
- Dass jeder Trainer einmal in einer Jugendabteilung und Regionalliga begonnen hat, ist bisher nie einem Trainer negativ nachgesagt worden. Zoki kam ebenfalls aus der Regionalliga und niemand nahm ihm das übel, zumindest wurde es nicht zu einem „Zoki raus“ aufgeschaukelt.
- Kein Trainer vor Gogo wurde wegen aktueller Ergebnisse in dieser Form beleidigt. Canadi hatte den schlechtesten Punkteschnitt seit es Aufzeichnungen gibt, aber ich kann mich auf „Canadi raus“ nicht erinnern, zumindest nicht in dieser Intensität.
- Dass er bei den Hunderten sich immer wiederholenden Fragen der Journalisten einmal etwas sagt, das man so hätte nicht sagen sollen, das sollten wir doch bitte nicht auf irgendeine Waagschale werfen. Erinnert Euch doch an die legendären Interviews von Peter Pacult. Nach meiner Ansicht waren diese Interviews glatte Kündigungsgründe, und was ist damals passiert? Nichts!
- Alle bisherigen Sprechchöre gegen den Vorstand, den Sportdirektor, den Trainer, die Mannschaft usw. hatten bisher noch wenig Wirkung gezeigt, es blieb alles beim Alten. Ausnahmen: Peter Schöttel nach Bierdusche. Ich hatte damals aber den Eindruck, als hätte er die Bierdusche zum Anlass für seinen Abgang gerne angenommen.
Feinde braucht der Block!
Wir auf der Osttribüne brauchen diesen Aktionismus nicht aber um so dringender braucht ihn der Block. Man muss sich ja fragen, welche Kräfte diese 7000 heterogenen Anhänger verbinden. Was bringt diesen bunt zusammengewürfelten Haufen dazu, hinter ihrem Capo zu stehen und mit ihm gemeinsam „Vollgas“ zu geben. Hätten wir WAC, Altach und Sturm gewonnen, gäbe es sicher keinerlei Motivationsprobleme, so aber gibt es Unruhe. Unruhe, die dazu führt, dass die für uns präsentierte Einigkeit zu zerbröckeln beginnt. Damit das nicht geschieht, braucht man ein Bindemittel in Form von Feinden. Einer ist ohnehin immer am Platz: der Gegner. Leider werden WAC, Altach und Mattersburg eher nicht als Gegner auf Augenhöhe wahrgenommen. Für den Block sind das „Dorfklubs“ über die man „drüberfahren“ müsse. Vermeintlich schwache Gegner sind also ein zu schwaches Bindemittel, man braucht mehr, am besten einen Sündenbock, der nicht nur ein Feindbild ist, sondern gleichzeitig die Wurzel allen Übels. Unser Trainer ist aus vielerlei Gründen nicht nach dem Geschmack des Blocks und daher für eine solche Attacke ein willkommenes Opfer.
„Gogo raus“ ist irrational! Ja, und gerade deshalb sehr gut als kollektives Motto geeignet. Um so einen Sager zu vertreten, benötigt man die gleichzeitige Zustimmung aller anderen. Genau das, was religiöses Denken ausmacht. (Religiöses Denken: sich gegenseitig eine Irrationalität bestätigen und zur Wahrheit erheben.) Der Block ist eine Religion in der Religion Rapid.
Go, Gogo go
Damit zumindest eine kleine positive Komponente ins Spiel kommt, habe ich mir erlaubt, ein Banner mit dem Text
„Go, Gogo go“ anzufertigen, in Anlehnung an den legendäre Lied der EAV
„Go, Karli go“ (im Sinne von
„mach weiter Karli„), dessen Inhalt durchaus Parallelen zu aktuellen Situation hat. Wir wünschen uns natürlich ein Happy-End, ähnlich wie in dem Lied. Derzeit sind wir ja genau in jener Phase, in der dem
Karli nichts zugetraut wird und ihn sein Vater droht zu enterben, also ein „
Karli raus“. Sollte uns diese Saison gut gelingen, wer weiß, vielleicht kommt dann auch unser
Gogo „ins Radio“!
„go“ kann im Englischen viel bedeuten
Als ich den Text auf dem Banner gelesen habe, dachte ich an jene, die den
Karli vielleicht gar nicht mehr kennen, und interpretieren dann den Text so, als solle „
Gogo gehen“. Leider war der Banner schon im Druck und damit hier kein Zweifel herrscht, habe ich dem Banner noch ein paar Herzerln verpasst, damit auch das klar gestellt ist.
Interessant auch die Textstelle, bei der
Karli in Moskau spielt, und genau das werden wir Ende November auch tun, hoffentlich mit
Gogo, unserem
„Karli“.
Go Karli Go
Der Karli war ein braves Kind,
wie man es heute nur ganz selten find‘.
In der Schule war er ein Gehirnathlet,
hat selten onaniert, kam trotzdem nie z’spät,
treibt sich nicht herum,
spielt lieber mit’n Aquarium!
Doch bei seinem ersten Rockkonzert,
hat ihm das Schicksal einen schweren Schock beschert.
Das Ereignis hat den Karli umgepolt,
seitdem weiß er, wo der Bartl den Most herholt.
Er versetzt sein Aquarium
und schnallt sich die Gitarre um.
Der Vater der schreit: „Sakrament!
Mein Bub der spielt in keiner Band!“
Die Mutter fleht zum Himmivata:
„Bitt‘ für uns, erspar uns das Theater!“
Go, Karli go!
Go, Karli go!
Vielleicht spielst Du einmal im Radio.
Go, Karli go!
Go, Karli go!
Vielleicht spielst Du einmal im Radio.
Der Schule sagt er lebewohl,
denn er studiert ja jetzt den Rock’n’Roll.
Der Karl übt tagein, tagaus.
Die Finger glüh’n, er lässt die Sau heraus.
Und er spielt mit seiner Band
um ein Gulasch und ein Bier am Wochenend.
Sein Vater, der will ihn enterben,
seine Mutter legt sich hin zum Sterben.
Vorher schleppt sie sich zum Tabernakel:
„Herr, sei mit uns, beende das Debakel!“
Go, Karli go!
Go, Karli go!
Vielleicht spielst Du einmal im Radio.
Go, Karli go!
Go, Karli go!
Vielleicht spielst Du einmal im Radio.
Nach fünfzehn Jahren Rock’n’Roll
ist der Karli heute ein Idol.
Er agiert dermaßen im Rampenlicht,
daß die Masse vor Erregung niederbricht,
weil es für volle Häuser bürgt,
wenn der Karli die Gitarre würgt!
Der Vater klopft sich auf die Brust,
weil er hat’s ja schon immer g’wußt.
Die Mutter bet‘ den Rosenkranz:
„Herr, sei mit uns, mach ihn zur Nr. 1!“
Go, Karli go!
Der Bub spielt jetzt im Radio
in Wien, in Moskau und in Tokyo!
Go, Karli go!
Kauf‘ uns ein Haus mit Bad und Klo,
und ein neues Auto sowieso!
Go, Karli go!
Der Bub spielt jetzt im Radio
in Wien, in Moskau und was weiß ich noch wo!
Go, Karli go!
Der Bub ist jetzt auch im TV!
Wo? Das weiß ich nicht genau.
Ich danke für die Aufmerksamkeit!
„Duahhh!“
Credits
Text: Thomas Spitzer
Musik: Thomas Spitzer, Nino Holm, Eik Breit, Klaus Eberhartinger, Günther Schönberger
Sänger: Klaus Eberhartinger
Produzent: Peter Müller
Eine Antwort zu “Sündenbock Gogo”
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