Dürfen’s denn des?

Vor genau 170 Jahren protestierte die Bevölkerung von Wien gegen den Metternich’schen Polizeistaat. Eigentlich sollte dem damaligen Kaiser Ferdinand eine Petition überbracht werden, doch es wurde ein Feuerbefehl gegeben, dem zahlreiche Demonstranten zum Opfer fielen. Dem Kaiser wird zugeschrieben, in diesen Tagen die Frage „Dürfen’s denn des?“  gestellt zu haben. 

Seither wurden nach und nach, mit dramatischen Unterbrechungen, letztlich aber doch in der Verfassung verankerte Bürgerrechte etabliert, an prominenter Stelle die Meinungsfreiheit. 

1312

Die Rechtshilfe Rapid berichtet über Anzeigen der Polizei und Urteile der Justiz gegen einzelne Rapid-Anhänger. Es ging um Doppelhalter mit der Aufschrift „A.C.A.B“. Die Verurteilung erfolgte wegen „Verletzung des öffentlichen Anstands (WLSG §1 Abs.1 Z1)“. Vor diesem Hintergrund muss man die Choreografie beim gestrigen Spiel gegen die Rangers sehen.  Die Rechtshilfe bekämpft das Urteil und ich plädiere dafür, sie in diesem Vorhaben zu unterstützen.

Offene Gesellschaft

Dass wir in diese österreichische Welt hineingeboren wurden, gilt schlechthin als eine Art existenzieller 10fach-Jackpot. Dass es sich hier gut leben lässt, haben wir vielen Generationen zu verdanken, die uns vorangegangen sind. Aber es ist nicht nur das materielle Gut, auf dem wir aufbauen, es ist vielmehr ein ziemlich zerbrechliches Etwas, dessen wir uns immer wieder aufs Neue bewusst werden müssen, eine Art Wanderpokal, den man nur dann besitzt, wenn man daran arbeitet. Und dieses komplexe Ding nennen wir Demokratie und als idealisiertes Ziel darf die von Sir Karl Popper definierte „Offene Gesellschaft“ dienen.

Es ist eine Gesellschaft, die eine Koexistenz verschiedenster Ideen ermöglicht und die Anhängern dieser Ideen durch die Meinungsfreiheit sowohl die Artikulierung ihrer eigenen Position als auch die Kritik der jeweils anderen ermöglicht. 

Diesem Modell stehen Gesellschaften gegenüber, die genau definieren, was in ihrem Staat geduldet wird und was nicht. Ein Paradies für die Follower solcher Staaten; für Andersdenkende ist es die Hölle bis hin zur Auslöschung. Wir, in Österreich kennen solche Zustände nur aus den Zeitungsberichten. Damit das so bleibt, müssen wir ständig Ereignisse im Auge behalten, die unser Gesellschaftsmodell infrage stellen könnten.  

Toleranz- und Kritikfähigkeit

Jeder Einzelne muss die Existenz von Ideen aushalten, die so gar nicht nach seinem Geschmack sind, er muss sie tolerieren. Ganz schön schwer für einen Rapidler, den Anblick eines Nicht-Grün-Weißen zu ertragen!

Der Preis für die Bürde der Toleranz der jeweils anderen ist, dass alle diese Ideen sich Kritik gefallen lassen müssen und diese Kritik im Rahmen der Meinungsfreiheit ausdrücklich erlaubt ist. Wenn also „Scheiß-Rapid“ (oder umgekehrt) gerufen oder geschrieben wird, dann ist das zwar nicht sehr freundlich, aber es hat keine weiteren Folgen, weil solche pauschalierenden Aussagen die Gruppe oder die Idee betreffend nicht einklagbar sind – Meinungsfreiheit eben. 

Der Preis für die Nicht-Einschränkung von Ideen, beginnend bei archaischen Religionen, modernen Parteien bis hin zu Fußballvereinen sind Toleranz der einen und Kritikfähigkeit der anderen. 

Person und Gruppe

Wir leben in einer Gesellschaft, die dem Einzelnen Schutz vor Übergriffen durch andere gewährt. Beleidigungen Einzelner wird nicht toleriert. 

Wir gehören persönlich immer auch Gruppen an; einer Religion (oder keiner Religion), einer Volksgruppe, einem Berufsstand, einer Schicht, einem Fußballverein usw. In dieser Rolle der Zugehörigkeit zu einer Gruppe sind wir der Kritik durch andere ausgesetzt und eine solche Kritik unserer Gruppe müssen wir tolerieren.

Den Schutz, den wir als Einzelpersonen genießen, können wir nicht auf die Gruppe ausdehnen. Die Gruppe genießt keinen besonderen Schutz  Kritik der anderen an unserer Gruppe ist es, die wir im Sinne der Funktion des Staates ertragen müssen.

Wenn es also heißt „Alle Politiker sind Arschlöcher“, „Bauernschweine“, „ACAB“… oder wenn Mohamedkarrikaturen gemalt werden, dann muss eine solche Kritik von der jeweiligen Gruppe ausgehalten werden. Es wird nicht ein einzelner ihrer Vertreter verunglimpft, sondern die Idee. 

Angriffe auf einzelne Personen, egal ob Polizisten oder Privatpersonen sind aber tabu. Ob ein amikales „Oida“ gegenüber einem Polizisten einen Tatbestand darstellt, kann man schwer beurteilen, die Variationen und Bedeutungsunterschiede von „Oida“ sind ja mannigfaltig.

Dürfen’s denn des?

Da in unserem Land das Obrigkeitsdenken noch immer stark verwurzelt ist, werden sich auch Zuschaer in einem Stadion beim Anblick von „1323“ die Frage stellen: „Dürfen’s denn des?“. Unsere Antwort sollte sein: „Ja, sie dürfen das! Und wir müssen sie sogar dabei unterstützen!“

Was, ich soll gegen die Polizei sein?

Natürlich nicht!

Ich persönlich habe alle Hochachtung vor den Damen und Herren der Polizei, die für uns Dinge erledigen, die alles andere als angenehm sind, und ich bedanke mich sicher nicht zu Unrecht auch im Namen der Leser dieses Tagebuchs für die Arbeit der Polizei im Allgemeinen und bei unseren Fußballveranstaltungen im Besonderen. 

Aber das ist nicht der Punkt. Es geht darum, ob jemand seine persönliche Aversion gegen die Polizei durch ein „Scheiß-Polizei“ zum Ausdruck bringen darf und ob er ein einschlägiges T-Shirt tragen darf und ob er einen Doppelhalter mit der Aufschrift „ACAB“ hochhalten darf und schließlich, ob er auch eine Choreografie mit einem überdimensionalen „1312“ gestalten darf. 

Und ganz unabhängig davon, was es an Gesetzen und juristischen Auslegungen gibt, sollten wir dafür sein, dass das sein darf. Es geht nicht um die Verunglimpfung eines einzelnen Polizisten, sondern um die Meinung einer Gruppe über eine andere. 

Kein Schutz für Ideen, jeder Schutz für den Einzelnen. Man kann einzelne Personen beleidigen, aber wer bitte soll konkret beleidigt sein, wenn gesagt wird „Scheiß Polizei!“? Doch wohl niemand! 

Freiheit in Krähwinkel

Leider ist unsere Gesellschaft nicht so „offen“ wie sich das Sir Karl Popper idealerweise vorgestellt hat. Die katholische Kirche hat in einem bedeutenden Teil des österreichischen Schulwesens das Sagen, wer eine Religion beleidigt, kann wegen des Blasphemieparagrafen („Herabwürdigung religiöser Lehren“) belangt werden, das politische Pendel ist dabei, die bereits ziemlich offene Tür zu einer offenen Gesellschaft wieder ein bisschen zugehen zu lassen. Und  gerade weil das so ist, muss Kritik möglich sein, auch wenn sie uns nicht unbedingt gefällt und auch wenn die Gründe für die vorgetragene Aversion gegen die Staatsgewalt immer irgendwo an den Grenzen der Legalität zu suchen sind. Aber das ist eine andere Geschichte. 

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