120 Jahre „Rapid“
Wir wissen wenig über die Zukunft, können aber in der Vergangenheit vieles über uns selbst entdecken. Wer sich mit den Ereignissen der Jahre um und nach 1900 beschäftigt, stellt mit einem gewissen Schrecken Parallelen zum Heute fest, die man sich vor 10 bis 20 Jahren so nicht
hätte vorstellen können. Wahrscheinlich, weil die Menschen sich nicht vorstellen wollen, wie schlecht Menschen zu Menschen sein können.
Das heutige Österreich kommt mir vor wie ein Block-West, der zur Findung der eigenen Identität Gegnerschaft so dringend braucht wie andere Menschen Freunde. Aber dazu ist der Block da, es gehört zum Spiel. Aber soll so unsere Gesellschaft funktionieren? Es geht uns offenbar nicht mehr darum, solidarisch Fairness für uns selbst einzufordern, es geht nur mehr darum, dass es Menschen gibt, über die man sich stellen kann. Die Feindbilder von 1900, Juden oder Tschechen, sind heute so marginalisiert, dass sie sich unter der Wahrnehmungsschwelle befinden. Aber Migranten gibt es viele und gemeinsam mit den zahlenmäßig starken Türken geben sie ein prächtiges Feindbild ab.
Um 1900 ging es darum, die Juden gering zu schätzen, 1920 ging es darum, ihre Rechte zu beschneiden, 1930 darum, ihren Besitz zu konfiszieren und 1940 ging es um ihre Existenz. Zuerst in Deutschland. Wien war damals bis 1938 fast eine Insel der Seligen, doch traf es die verbliebenen Juden, zu denen auch Wilhelm Goldschmidt, der Namensgeber des SK Rapid, zählte, umso überraschender.
Man hat heute den Eindruck, als würden wir wieder vor einer so „großen“ Epoche stehen. Egal, ob es die Anderen sind oder ob es Europa ist, Zerstörung ist ihr Programm, nicht Konstruktion, zu der es Kompetenz brauchen würde. Und es ist wie bei Lego, z’sammenghaut ist schneller als errichtet.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie hat einen fraktalen Charakter, von dem man meint, alles schon einmal erlebt zu haben. Alle heutigen Abschiebungen beruhen auf Recht; auch die von Auschwitz beruhten auf Recht. Wer will wissen, was genau jemanden erwartet, der par Flug abgeschoben wird? Fundamentalistische Staaten haben darauf eine klare Antwort. Ein fahnenflüchtiger Moslem hat sein Leben verwirkt, wie man am Schicksal der Rahaf Mohammed al-Kunun ablesen kann. Und weil wir die Folgen solcher Abschiebungen im Einzelfall nicht wissen können, müsste die Regel lauten „im Zweifel gegen die Abschiebung“. Aber die mehrheitlich beklatschten Entscheidungen von türkis-blau schauen anders aus.
Wobei: was, wenn dann schließlich alle abgeschoben worden sind, was dann? Wer ist der Nächste?
Daher ist der Stolperstein ein wichtiges Symbol dafür, dass sich Geschichte nicht wiederholen möge, und wenn wir spüren, dass die Politik wieder so unheilverkündende Richtungen einschlägt, wir rechtzeitig auf eine Bremse steigen – solange diese noch funktioniert, denn die Demontage der Bremsleitungen hat schon voll eingesetzt.
Oder könnt ihr damit etwas anfangen, dass die Caritas eine gewinnorientierte Organisation wäre? Dass Exekution und Rechtsberatung nunmehr in einer Hand sein sollen? Bei Polizei und Justiz könnte es ähnlich laufen wie man an verschiedenen Urteilen gegen Fußballanhänger gut ablesen kann. Ach ja, die Fußballanhänger! Auch so eine praktische Minderheit, die unter großem Beifall der Wähler und Medien in die Politzange genommen wird.
Wie hieß es so schön: „Wehret den Anfängen!“
Wer hätte gedacht, dass Künstler, Fußballer und Ngos wie die Caritas und sich selbst zerstörende Oppositionsparteien jener Strohhalm sein werden, an den sich der verbleibende Rest der Demokratie wird klammern müssen.
Heute hat die Vereinsspitze von Rapid diesen Stolperstein eingeweiht. Er ist eine Erinnerung an Unvorstellbares – und doch ist es passiert. Daher ein Danke an Rapid für dieses kleine Mahnmal!