Videoanalyse mit Dr. Stefan Oesen

Am 14.10.2019 lud die VHS-Penzing im Rahmen eines Schwerpunkts „Profi-Fußball abseits der Kameras“ zu einem Vortrag von Dr. Stefan Oesen ein. Durch den Abend begleitete Miriam Labus, Moderatorin des Behindertensportmagazins „Ohne Grenzen“ in ORF SPORT+. Die etwa 70 Besucher im bis zum letzten Platz gefüllten Vortragssaal folgten den spannenden Ausführungen des Videoanalysten.

Dr. Stefan Oesen und Miriam Labus im Gespräch

Um die Eindrücke kurz zusammenzufassen: es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen den Vorstellungen des durchschnittlichen Stadion- und Fernsehpublikums und der fußballtaktischen Realität hinter den Kulissen. Dass man davon in den Interviews vor und nach dem Spiel nicht all zu viel erfährt, ist einleuchtend, weil ja immer auch der Gegner mithören kann. Umso interessanter war es, in diesen 90 Minuten Details zu den angewendeten Techniken und Planungen zu erhalten.

Vor einem Spiel…

…erstellt der Analyst eine Spielvorbereitung, die exakt auf den kommenden Gegner zugeschnitten ist. Die Spieler werden in zusammenfassenden Videos auf ihre Aufgabe vorbereitet, wobei offenbar „die Würze in der Kürze liegt“, denn allzu weit gehende Analysen können die Spieler praktisch nicht verarbeiten und daher dürfte es die Kunst des Analysten sein, das Wesentliche zu vermitteln. Wir haben auch erfahren, dass die Spieler ihren kommenden Gegenspieler sogar in kurzen Videosequenzen auf ihren Handys studieren können, eine Art „Hausübung“.

Das vorbereitende Training vor einem Spiel ist bereits auf den Ideen des Analysten aufgebaut und wird vom Trainerteam auf dessen Vorschlag umgesetzt. Die Zusammenarbeit zwischen theoretischer Videoanalyse und praktischer Umsetzung ist so wichtig geworden, dass Trainer bereits – ähnlich wie bei den Co-Trainern – ihren Videoanalysten zu einem neuen Dienstgeber mitnehmen.

Während eines Spiels…

…schneidet der Videoanalyst von seinem Platz auf der Pressetribüne Spielszenen heraus, die er als Schwachstellen erkennt. Während wir in den Spielpausen zu einem Glas Bier greifen, bespricht er diese Szenen mit dem Trainer und nach etwa fünf Minuten, wenn sich die Spieler in der Kabine erholt haben, werden maximal zwei dieser Szenen mit den Spielern besprochen, um mit diesen Informationen Verbesserungen in der zweiten Halbzeit herbeiführen zu können.

Diese Szenenauswahl erfolgt über ein „Tagging“. Ein Videoschnitt wie wir ihn als Heimuser kennen, kommt nicht infrage, es muss ja alles sofort geschehen. Daher gibt es eine Vielzahl von Tastenkürzel, die der Videoanalyst auswendig kennen muss. Diese Tastenkürzel (Tags) erlauben ihm schon während des Spiels die richtigen Stellen herauszugreifen und auch gleich dem betroffenen Spieler zuzuordnen.

Erfassung der Spielerbewegung

Wir sehen oft beim Training und im Spiel, dass die Spieler einen GPS-Empfänger am Rücken tragen. Diese Messeinrichtung wird ausschließlich vom Athletik-Trainer ausgewertet, nicht aber durch den Videoanalysten. Dieser greift ausschließlich auf die Daten von Video-Kameras zu.

Für die Videoanalyse sind die Fernsehbilder, mit ihren Nahaufnahmen und Wiederholungen ungeeignet. Diese Fernsehbilder sollen die Wirkung beim Zuseher verstärken, unterschlagen aber für die Analyse wichtige Aspekte, weil sie nicht alle Spieler erfassen. Auf allen Spielorten der Bundesliga ist speziell für die Analyse ein Kamerasystem aus zwei Kameras aufgebaut, welches automatisch alle 20 Feldspieler erfasst, egal, wohin sich das Spielgeschehen gerade verlagert. Aus den beiden Bildern dieser Kameras wird elektronisch ein einziges Gesamtbild errechnet. Diese Daten stehen den Vereinen zur Verfügung- Durch die optische Erfassung des Spielgeschehens kennt man nicht nur die Bewegungsdaten der eigenen Mannschaft (wie bei den GPS-Empfängern), sondern auch die des Gegners.

Aus diesen Bewegungsdaten können alle gewünschten statistischen Daten jedes einzelnen Spielers bestimmt werden. Wir haben die Datenausgabe auf der Leinwand mitverfolgen können. Es sind technisch ganz einfache CSV-Dateien, die durch eine eine Datenanalyse hinsichtlich der gesuchten Größen ausgewertet werden. Für die Auswertung steht bei Rapid auch ein Mathematikstudent unterstützend zur Verfügung.

Spielphilosophie

Wir können davon ausgehen, dass die uns vorgestellten Details kein besonderes Rapid-Geheimnis darstellen, etwa der Umstand, dass in einer Zone rund um das Tor die meisten Tore erzielt werden, erscheint jedem klar und ebenso, dass im Spielaufbau jeder Spieler das gemeinsame Ziel verfolgt, den Ball genau dorthin zu bringen, wo die Chance auf ein Tor besonders groß ist. Blöderweise wissen das die Gegner auch, und haben auch dieselben Hilfsmittel. Fast, denn in Salzburg dürfte man schon einen Schritt weiter sein und kann eine Videosequenz in Form von 3D-Bildern in ein reales Spielfeld einblenden. An eine Realisierung mit 3D-Brillen wird bereits gearbeitet.

Andere Länder…

Während bei Rapid mit dem Einstieg von Stefan Oesen 2013 die Ära der Videoanalyse begann, ist diese anderswo sicher schon viel früher angewendet worden und wird auch heute viel intensiver betrieben als das bei Rapid der Fall ist. Etwa meldete sich bei einer Datenanfrage ein englischer Verein bei Rapid und der Kontaktmann war der „Chief of Opponent Video Analysis“, also jemand, der sich ausschließlich um die Video-Analyse des Gegners kümmert. Und da er der Leiter einer ganzen Gruppe ist, kann man sich leicht vorstellen, mit welchem Aufwand man in den reichen Ligen auf der Suche nach Vorteilen im Spiel auf der Spur ist.

50% aller Tore entstehen zufällig

Fußball ist so populär, weil nur „manchmal der Stärkere gewinnt“ – wie es Metin Tolan in seinem gleichnamigen Buch beschreibt. Daher ist für den Taktiker das Ergebnis nur von sekundärer Bedeutung. Die Mannschaft kann hervorragend gespielt haben und dennoch verlieren. Ein solche Spielverlauf, kann den Zuschauer zur Verzweiflung bringen, kann aber gleichzeitig für die Mannschaft und die Betreuer durchaus motivierend sein, weil sie das Spiel weniger vom Ergebnis sondern eher von der Wirksamkeit ihrer taktischen Maßnahmen beurteilen.

Ein Tor entsteht dann durch einen Zufall, wenn vom Zeitpunkt des Wechsels der Ballbesitzes es an irgendeiner Stelle des Spielaufbaus zu einem ungeplanten Verhalten des Balls gekommen ist. Ballglück, Ballpech, abgefälschter Schuss, Stangenschuss, der ins Tor geht – oder eben nicht, oder auch Eigentore. 42% der Tore – also fast de Hälfte – fällt rein zufällig.

Was allein die taktisch gute Schulung der Spieler bewirken kann, ist eine Erhöhung der Torwahrscheinlichkeit und eine Reduktion der Wahrscheinlichkeit für Gegentore. Aber einen Sieg erzwingen kann auch die ausgefeilteste Taktik nicht. „Wo der (Fußball)Hergott net wü, nutzt des gar nix…“

Die Taktik des Taktikers

Ein VIdeo-Analyst arbeitet eher zurückgezogen und wird von den Zuschauern wenig beachtet. Er hat aber einen großen Einfluss auf die Art, wie gespielt wird. Durch diese Arbeit im Hintergrund blieb ein Umstand fast unbemerkt, nämlich der Wechsel von Stefan Oesen von Rapid zu Salzburg und wieder zurück, etwas, das bei einem Spieler beim Block weniger gut angekommen wäre. Stefan Oesen ist im Jänner 2014 bei Rapid eingestiegen, hat dann aber zwischen Juni 2017 und Ende 2018 bei Red Bull Salzburg gearbeitet und ist erst seit der vorigen Saison wieder bei Rapid tätig. Was nun der Grund für diesen zurückgenommenen Wechsel ist, kann man nur raten, denn es wird ja im Fußball nicht jede Frage auch beantwortet. Er hat also Rapid verlassen, nachdem Gogo das Traineramt von Damir Canadi geerbt hat und ist erst wieder eingestiegen, als Didi zum Trainer ernannt wurde. Ob die Trainerkonstellation der Grund für den Wechsel war? Dafür könnte sprechen, dass eine Video-Analyse nur bei einer guten Zusammenarbeit mit dem Trainerteam möglich ist. Ganz Raffinierte könnten meinen, dass man bei Rapid auf diese Weise Interna aus Salzburg in Erfahrung bringen konnte.

Erfolgshunger

Das Publikum verlangt nach Erfolgen. Es scheint derzeit bei Rapid zwar aufwärts zu gehen, doch ganz traut man dem Trend noch nicht, weiß man doch um den großen Zufallsanteil der Ergebnisse.

Eine der Fragen an den Vortragenden betraf den Umstand, dass Rapid derzeit weit davon entfernt ist, die aus den Zeiten des St. Hanappi bekannte Heimstärke zu zeigen. Allein, auch darauf wusste er keine Antwort, weil er sich nicht mit solchen historischen Vergleichen beschäftigt. Und die nicht vorhandene Heimstärke hat keine unmittelbare Erklärung.

Es ist aber interessant, dass genau in die Zeit der Stadionbaus auch der Beginn der Video-Analyse bei Rapid und – wie wir erfahren haben – auch bei den anderen Bundesliga-Klubs fällt. Alle Vereine arbeiten mit denselben Daten. Wenn nun die Video-Analyse zu einer deutlichen Verbesserung der taktischen Disziplin in den Teams geführt hat, dann verringerte dieser Umstand den Abstand der Großen von den Kleinen und die Chancen der kleineren Vereine haben sich enorm erhöht, weil die technische Infrastruktur offenbar von der Bundesliga zur Verfügung gestellt wird, und das wirkt nivellierend. Das könnte eine Antwort auf die Frage sein, dass Rapid die Heimstärke nicht mehr so klar ausspielen kann, weil sich durch die Analyse alle Vereine praktisch gleich gut auf den jeweiligen Gegner einstellen können. Und wie wir sehen, benötigt man dazu praktisch nur eine Person.

Wir bedanken uns beim Vortragenden für die interessanten Einblicke in sein Arbeitsgebiet, als „Stratege hinter dem Trainer“.

Links

Kommende Veranstaltungen der VHS-Penzing

Di, 15. Oktober 2019 18:30-20:00, 6,- €
Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, Laurin Rosenberg

Do 31. Oktober 2019 18:30-20:00, 6,- €
Schiedsrichterwissen: Wie man entscheidet


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