Kinder und Eltern
Hier soll es um dieses sexistische Spruchband gehen.
Egal, ob Sitznachbar im Stadion, Medienvertreter oder Fußball-Analyst im Fernsehen, die Ablehnung des sexistischen Spruchbandes ist einhellig. Also muss man nicht viele Worte darüber verlieren – oder doch?
Versuchen wir, den Dingen auf den Grund zu gehen, und daraus Handlungsalternativen abzuleiten. Die folgende Kurzfassung erspart die mühsame Lektüre:
Kurzfassung
Der Block darf und soll seine Neigungen bis zu einem gewissen Grad ausleben, nämlich soweit, als es durch die anderen Zuschauer im Stadion toleriert wird. Und in dieser Grenzziehung ist der Verein gefordert, sie findet zu wenig statt.
Hätte es in der Frage des Transparents im Vorfeld eine Einigkeit zwischen Verein und Block gegeben, würde das den eigentlichen Motiven des Blocks geradezu widersprechen. Eine solche Provokation kann ja nur am Verein vorbei ins Stadion geschmuggelt werden, anders geht das ja nicht.
Rapid muss sich darüber klar werden, dass es nicht das Wesen des Blocks ist, Abmachungen, wie etwas das Leitbild, einzuhalten. Es sind gerade die Übertretungen, die den Block zu einer so festen Gemeinschaft machen. Aber ohne Konsequenzen und ohne klare Linie gegenüber dem Block, verletzt Rapid sein eigenes Leitbild, weil eben zugelassen wird, dass Rapidler im Stadion das Leitbild verletzen. Und es kann nicht dabei bleiben, dass man das Spruchband nur entfernt. Vielleicht sollte man die Ethik-Kommission in allen diesen Fragen einbeziehen. Vielleicht sollte es einen Maßnahmenkatalog, um nicht zu sagen einen Strafenkatalog geben, der bei Verfehlungen aller Art interfamiliär angewendet wird.
Tut man alles das nicht, dann droht dem Verein Rapid wegen seines verhaltensauffälligen Blocks eine Strafe seitens der Bundesliga oder des ÖFB, die dann eine Kollektivstrafe sein wird – zum Beispiel ein Punkteabzug oder eine Geldstrafe sein wird, und beides, Punkte und Geld, haben wir nicht in ausreichendem Ausmaß, unter der wir alle leiden. Wäre es da nicht nachhaltiger, im eigenen Haus klare Verhältnisse zu schaffen? Der Anlass wäre da, und es wäre nicht der erste seiner Art.
Beginnen wir bei unserem Rundkurs mit interessanten Interpretationen:
Fragen über Fragen
Jede dieser fragwürdigen und teilweise nicht nur gegen die guten Sitten sondern auch gegen Gesetze verstoßenden Aktionen des Blocks, lässt immer wieder dieselben Fragen hochkommen.
- Warum werden solche Sprüche überhaupt getextet?
- Warum gibt es für den Block keine Eingangskontrollen für Spruchbänder?
- Wozu braucht Rapid ein Leitbild, wenn man sich nicht daran orientiert?
- Warum wird der Block anders behandelt als alle anderen?
- Regiert der Block Rapid?
- Wer muss sich bewegen, um Rapid in Einklang mit dem Leitbild zu bringen: der Block, Rapid, wir?
Alle müssen sich bewegen!
- Der Block muss das erfahren, was er sucht: Grenzen.
- Rapid muss das Lavieren aufgeben, sich klar positionieren und Grenzpflöcke einschlagen, die dem Leitbild folgen. Bisher diente das Leitbild nur für Sonntagsreden und vor einem Publikum, das dem Leitbild ohnehin vollinhaltlich zustimmt. Zeigt der Verein diese Grenzen nicht auf, werden es andere tun.
- Wir selbst sollten nicht nur entrüstet sein, wir sollten uns klarer gegen solche Handlungen aussprechen und gegebenenfalls – so wie es der Block gerne tut, wenn er sich schlecht behandelt fühlt – dem Stadion fern bleiben. Ich kenne tolle Rapid-Fans, die das bereits getan haben, sie haben ihr Abo aus Protest nicht verlängert. Hier geht der großen Masse leider etwas ab: der Zusammenhalt, etwas, das man durchaus vom Block lernen kann, aber es wird noch viel passieren müssen, um diese Einigkeit zu schaffen, die der Block bereits jetzt hat. Mein erste Reaktion auf das sexistische Spruchband war ein Anti-Spruchband, etwa unter dem Motto „Wir sind nicht so…“. Selbstverständlich legte ich es vor der Anfertigung bei Rapid zur Genehmigung vor – und es wurde prompt nicht genehmigt. **) Wieder was gespart . und gelernt!
Esoterik und Chaos
Esoterisch Angehauchte (Meindl-Reisinger verhöhnt Rapid nach Debakel) finden, dass mit dem 2:7 gegen RB die Strafe auf dem Fuß gefolgt wäre. Für solche Wirkungszusammenhänge muss man nicht in die religiös-esoterische Trickkiste greifen, denn es gilt, dass alle, auch noch so geringfügigen Ereignisse unsere Zukunft beeinflussen, auch wenn wir deren Wirkung nicht bemerken, übersehen oder vernachlässigen. Der Zusammenhang „Hätte es das sexistische Plakat nicht gegeben, hätten wir Hartberg geschlagen und wäre das Ergebnis gegen Salzburg ganz anders ausgefallen“. ist natürlich an den Haaren herbeigezogen – aber eine der vielen Möglichkeiten für eine Entwicklung. Was verrückt klingt, ist eine hochangesehene wissenschaftliche Theorie, die unser Leben mehr beeinflusst als wir das annehmen. *)
Eigene Erlebnisse
Wenn ich selbst mit dem bescheidenen Spruchband „Klub der Freunde des S.C. Rapid“ ins Stadion will, muss ich jedesmal das Banner ausrollen und es wird begutachtet und meist für OK empfunden. Und das, obwohl mich die Damen und Herrn der Security schon kennen und das Transparent sich nicht verändert. Wenn das also auf der Ost funktioniert, warum dann nicht auf der Süd?
Meinungsfreiheit
Die erste Reaktion von Rapid über den sexistischen Schriftzug war, dass es sich hier um demokratische Meinungsfreiheit handeln würde. Und es mag auch sein, dass das bei großzügiger Bewertung stimmt. Was ist aber mit dem, der die Bühne für eine solche Meinungsäußerung bietet; kann sich der so einfach aus der Verantwortung ziehen? Wenn wir nämlich „Meinungsfreiheit“ als wichtigen Grundsatz für die Koexistenz der verschiedenen Fangruppen im Stadion definieren, dann muss dieser Grundsatz natürlich für alle gelten.
Meinungsfreiheit 1
Wenn man Aufsehen erregen will, dann muss man entsprechende Aktionen setzen. Künstler wissen, wie das geht. Auch sie provozieren die Gesellschaft, die mit einem „unerhört“ reagiert, und Salzburgs Alt-Bürgermeister Schaden formulierte anlässlich der Enthüllung eines überdimensionalen Penis durch die Künstlergruppe Gelatin: „Man tut der Kunst nichts Gutes, wenn man für jede Unsinnigkeit die Freiheit der Kunst beansprucht“. In Abwandlung könne man also für den Text des Spruchbandes sagen: „Man tut der Meinungsfreiheit nichts Gutes, wenn man sie für jede Provokation beansprucht“.
Meinungsfreiheit 2
Stellen wir uns vor, unser sehr unfreundlich entlassener Trainer Gogo hätte gegen Salzburg 2:7 verloren… Damals gab es neben den unüberhörbaren „Gogo raus“-Rufen auch ein unterstützendes Spruchband, nämlich „Go, Gogo, go„. Es hing nicht lange und wurde von Vertrauten des Blocks abmontiert und gestohlen – anders kann man das nicht nennen.
Meinungsfreiheit 3
Bei seinem ersten Auftreten im Bullen-Dress in Hütteldorf wurde der Ex-Rapidler Wöber vom Block heftig beschimpft. Aus den Reihen der West-Tribüne wurde versucht, dieser Aggression mit dem Spruchband „Wir sind nicht so, Familie Wöber“ entgegenzutreten. Der Block verschaffte sich Zugang zur Loge und entfernte das Spruchband.
Es gab zu diesen Vorfällen praktisch keine Reaktion des Vereins. Man hat im Fall 2 das Spruchband wieder gefunden und sich im Fall 3 bei den Gästen auf der West entschuldigt. Ich habe den Eindruck, als wäre das keine ausreichende Reaktion gewesen, denn es handelt sich um die kriminelle Straftat des „Hausfriedensbruchs“:
Hausfriedensbruch
Zitat Wikipedia: „Der Hausfriedensbruch ist die vorsätzliche Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Gutes der Unverletzlichkeit befriedeter Besitztümer. Der Hausfriedensbruch ist in Deutschland ein Straftatbestand, der ausschließlich das individuelle Hausrecht schützt.“ Dass das keine Kleinigkeit ist, zeigt ein Blick in das österreichische Strafgesetzbuch, das für eine solche Tat bis zu einem Jahr Haft vorsieht. §109 StGB
Es ist also nicht weit her mit der Meinungsfreiheit im Stadion des SK Rapid, es kommt darauf an, wer eine Meinung vertritt.
Alltagsrassismus
Wer irgendwie anders ausschaut, ist potenziell Aggressionen ausgesetzt und zwar nicht nur von jenen, die Rassismus als Weltbild kultivieren, sondern von praktisch jedem in mehr oder weniger versteckter Form.
Mit Rapid-Outfit auszugehen ist in diesen Tagen schon fast wie ein Spießrutenlauf. Dass mich die Nachbarn im Haus und Freunde aus dem beruflichen Umfeld ziemlich deutlich und durchaus rassistisch auf einen „sexistischen Rapidler“ reduzieren, den sie hinter der bürgerlichen Fassade vermuten, zeigt, dass auch die „Guten“ nicht frei von verdeckten Rassismen sind, auf die sie gerne moralisierend hinweisen.
Wenn man sich in Sozialen Netzen herumtreibt, dann bekommt man auch einen gewissen Anteil an rassistischen und sexistischen „Weisheiten“ unaufgefordert übermittelt. Manchmal schaut es fast wie ein Wettbewerb aus, unter Motto „Geht’s noch tiefer?“. Die Poster stammen aber nicht aus den Reihen des Blocks, die Poster können auch jene sein, die sich über die Sprüche des Block entrüsten.
Solange diese Alltagsrassismen nicht aus der Mitte der Gesellschaft verschwinden, sollte man bei Verurteilungen des Blocks etwas weniger laut sein. Als Abonnent auf der Ost wünscht man sich, dass man sich nicht dafür entschuldigen muss, Anhänger von Rapid zu sein. „Wir sind nicht so…“. Und nicht wir sind es, die in dieser Frage nachgeben werden, eher werden wir das Stadion verlassen.
Die Medien
Die Vorstellung beginnt, wenn sich der Vorhang hebt und nicht am Schminktisch oder bei einer Reparatur eines schadhaften Kostüms hinter der Bühne.
Das Theater „Stadion“ hat keinen Vorhang zu bieten, der sich hebt, wenn das Spektakel beginnt. Wer vor Spielbeginn da ist, sieht den Schminktisch, die Sprechproben und auch das schadhafte Kostüm, das noch schnell entfernt werden muss. Das Spruchband war bei der Übertragung nicht zu sehen, es war nur zu sehen, als der „Vorhang noch unten war“. Es ist dem Verein gerade noch gelungen, es zu entfernen.
Bei Fernseh-Übertragungen werden Spruchbänder von Fans nur zufällig von den Kameras gestreift, die Aktionen auf den Rängen bleiben den Zuschauern zu Hause meist verborgen. Wenn es aber etwas Aufsehenerregendes zu lesen gibt, dann wird ganz entgegen der sonstigen Zurückhaltung dem Spruchband mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem Spiel.
Wenn es dagegen Anti-Medien-Plakate gab – zum Beispiel gegen ungünstige Beginnzeiten, dann versuchte bei diesen Anlässen der Kameramann gemeinsam mit der Bildregie den Blickwinkel so einzustellen, dass man dieses Spruchband gerade nicht sehen konnte.
Man sieht an diesen Beispielen, dass die Medien uns viele Bilder ins Haus liefern, aber objektiv sind sie dabei nicht, weil sie eben Teil des Spiels sind und durch Ihre Sucht nach den Bad News das Bild verzerren. Darüber hinaus spielt der Nutzen für das Medium eine wichtige Rolle bei der Auswahl des Bildmaterials.
Warum ist Rapid so populär?
Weil niemand ausgeschlossen wird. Niemand. Nach Paragraf 4 des Leitbildes. Und alle Besucher des Stadions sollen auf ihre Rechnung kommen, und es wird seitens des Vereins versucht, allen diesen Wünschen zu entsprechen. Und dabei kommt es immer wieder zu Interessenskonflikten zwischen dem Block und dem Verein. In Schilderungen solcher vergangener „Heldentaten“ des Blocks wurde uns vermittelt, wie sehr sich die Vereinsführung immer bemüht hat, dass Fanprojekte umgesetzt werden können, auch wenn sie manchmal beim Nicht-Block-Publikum Kopfschütteln bis Ablehnung hervorgerufen haben.***)
Fans gegen Rassismus
Seit ich Spiele von Rapid besuche, wünsche ich mir, dass der Ton der Fangesänge und die Texte der Spruchbänder weniger diskriminierend sein mögen. Illusorisch ist es nicht, denn im Laufe der Jahre konnte ich in Hernals und Döbling zwei Fankurven erleben, die sich gemeinsam mit ihrem Verein klar gegen Diskriminierung und Rassismen aller Art aussprechen. Vielleicht haben es diese Kurven aber leichter, so verlesene Fans zu rekrutieren, denn es geht dort nur um ein paar Hundert und nicht um ein paar Tausend wie bei Rapid. Aber vielleicht erlebe ich es noch, dass der Block das Spruchband „Gegen Rassismus in der Kurve“ hisst und nicht nur der Verein einmal im Jahr – weil er muss.
Dass aber ein Banner mit einer Regenbogenfahne gezeigt wird, das geht dann schon wieder zu weit**), da halten wir uns lieber einen sexistisch angehauchten Block – der bringt mehr, und der könnte an einem solchen Regebogenstatement keine Freude haben, und das wollen wir doch vermeiden, oder?
Motivforschung
Warum tun sich das die Leute an, dass sie von dem Spiel selbst nur wenig mitbekommen, weil Fahnen geschwungen werden, weil sie keinen Sitzplatz haben, weil sie von Rauchtöpfen eingenebelt werden. Nur weil’s leiwand is‘ und billiger als die anderen Tribünenplätze? Sicher nicht, da steckt mehr dahinter! Und es sind eine Menge verschlungener Motive wirksam, und man wird dem Block nicht gerecht, wenn auch nur eines weglässt.
Der Urgrund
Der Kern des Blocks ist eine grenzsuchende Gemeinschaft. Dieses Bedürfnis nach Grenzerfahrungen haben eigentlich wir alle, aber während der Sozialisierung erleben Jugendliche Grenzen, die ihnen durch ihre Eltern vorgegeben werden. Und wenn solche Grenzerfahrungen gemacht werden, ist dieser Lernprozess abgeschlossen. Man hat die Fähigkeit erworben, die eigenen Bedürfnisse mit den Bedürfnissen anderer abzugleichen.
Aber nicht alle konnten solche Erfahrungen in ausreichendem Maß machen. Und es geht hier nicht nur um ein eventuell problematisches Elternhaus, es geht um ganze Generationen von Eltern, beginnend bei der 68er Generation, die einen anti-autoritären Erziehungsstil pflegen. Wir kennen sie alle, sozial unverträgliche Kinder, die schon in der Sandkiste eine Belastung für den Frieden zwischen den Familien sind.
Kinder, die drohen, den Eltern über den Kopf zu wachsen, wollen ohnehin nur das eine: sie wollen wissen, wie weit sie gehen können. Leider erfahren sie das aber wegen des Erziehungsstils oder wegen der fehlenden Stabilität in den Familien nicht immer in ausreichendem Maß. Daher ist dieser Aspekt der Grenzerfahrung in der Jugend nicht ausreichend erlernt worden, aber die Sehnsucht nach der Wahrnehmung der Grenzen bleibt für den jungen Erwachsenen ein lebenslanger Wunsch.
Neben einer natürlichen Geborgenheit dürften natürliche Grenzerfahrungen im Kreis der Familie die wichtigste Orientierungshilfe für Kinder und Jugendliche sein. Erlernen Kinder die Rechte der anderen während ihrer Sozialisation, sitzen sie auf Ost, West oder Nord. Wenn nicht, dann sind sie lebenslang nach Grenzen Suchende und versuchen auszuloten, wie weit sie mit ihren Aktionen gehen können. Aber es gibt kein korrigierendes Elternhaus mehr, die Korrektur erfolgt durch die Gesellschaft, in erster Linie vertreten durch die Polizei. Aber auch der Verein „Rapid“ und wir, die anderen, könnten ein solches Korrektiv sein, wir sind es aber offenbar zu wenig.
Es findet also eine Art lebenslanger Lernprozess statt, von dem wir ein Teil sein können, indem wir eben zu diesen Überschreitungen (aller Art) „nein“ sagen, wie Eltern das üblicherweise tun. In den Überschreitungen außerhalb des Stadions haben wir keinen Einblick und Einfluss und sind erstaunt über die heftige Frontstellung des Blocks gegenüber der Polizei.
Tolerieren wir aber das eigentlich Nicht-Zu-Tolerierende, dann werden wir zu Komplizen, zu Eltern mit einem allzu lockeren Erziehungsstil und müssen auf die nächste dieser Eskapaden warten, bis wir wieder die Gelegenheit haben, zu handeln. Je länger wir uns damit Zeit lassen, desto schmerzlicher wird diese dann zu treffende Entscheidung sein.
Grenzüberschreitungen
Das sexistische Spruchband ist ja noch eine Kleinigkeit im Vergleich zu den sonstigen Aktionen innerhalb und außerhalb des Stadions wie zum Beispiel Graffiti, Schlägereien, Drogen, Alkohol, Sexismus, Rassismus. Punktuell werden solche Aktionen aufgedeckt und landen bei der Justiz. Über diese Dinge weiß man offiziell nichts, und für Fußballvereine – nicht nur für Rapid – ist es besser, da nicht zu viel nachzufragen.
Verschworene Gemeinschaft
Gerade das teilweise illegale Handeln ist ein gemeinsam zu hütendes Geheimnis und dadurch die Grundlage für eine verschworene Gemeinschaft, der man als Mitglied einerseits viel verdankt, aber anderseits auch ausgeliefert ist. Der Zusammenhalt ist durch die äußeren Feinde Polizei, Presse, Politik und natürlich durch den jeweiligen Gegner am Platz verstärkt. Der Verein fehlt in dieser Liste, ist er doch in vielen Einzelfällen Ermöglicher und kein Gegner.
Heterogenität
Das bisher vorgestellte Modell von „Grenzerfahrungs-Suchern“ ist nun keineswegs auf alle im Block anwendbar, sondern beschränkt sich auf einen vergleichsweise kleinen Kern von „Auskennern“ und Eingeweihten, die ihre Talente dazu nutzen, eine viel größere Zahl von Sympathisanten anzuziehen. Ein viel größerer Teil des Blocks sind Stadion-Aktivisten, die tatsächlich nur um des Fußballs willen, sich an den Aktionen beteiligen, die durch die Kerngruppen des Blocks organisatorisch vorgegeben werden. Das ist sozusagen die große Gruppe der „Follower“, die die Stadion-Aktionen mittragen, aber mit den sonstigen Grenzüberschreitungen innerhalb und außerhalb des Stadions nichts zu tun haben, also auch selbst vom Inhalt des Spruchbandes überrascht werden.
Nach meiner Einschätzung ist es für die Kerngruppen des Blocks eine große Motivation für ihre oft aufwändigen Arbeiten, dass sie damit nicht nur das Stadion und die Öffentlichkeit ansprechen, sondern dass sie eben viele aus dieser zweiten Gruppe auf ihre Seite – in den Block – ziehen können, und darin besteht auch ein großer Nutzen für den Verein.
Lebenshilfe
Schließlich gibt es aber auch eine Gruppe, für die der Block eine Art Lebenshilfe ist. Wenn also benachteiligte Menschen in dem komplexen Gewurl auf Ost und Nord keine ausreichende Ansprache finden, bietet ihnen der Block sowohl Anerkennung für ihr Engagement als auch eine Orientierungshilfe durch strenge Blockregeln.
Hierarchie
Aus diesem Kern entwickelt sich die nach außen wahrnehmbare Hierarchie der Capos, die ihre Führungsqualitäten ausleben können. Sie sind wahrscheinlich auch die Ideologen, die den Mechanismus zum Zusammenhalt verinnerlichen.
Es greift also zu kurz, wenn man sich auf den Ausgangspunkt, auf die fehlenden Grenzerfahrungen, beschränkt, denn das wäre nun eine zu kleine Gruppierung. Diese Gruppierung übt aber wegen ihres großen Einsatzes für Rapid eine große Anziehungskraft aus, und bringt viele weitere Rapid-Aktivisten in den Block, deren große Zahl und damit Erfolg wieder auf sie selbst motivierend zurückwirkt, vielleicht so wie ein Sieg auch Motivation für das nächste Spiel sein kann.
Moderner Ablasshandel
Betrachten wir die Eskapaden des Blocks als eine klassische „Sünde“, dann wären wir nicht in einem katholischen Land, wenn es dazu nicht auch einen „Ablass“ geben würde. In logischer Tradition zum mittelalterlichen Ablasshandel hat auch der Block der „Kirche“ etwas zu bieten: Neben seiner Funktion als Stimmungsmacher tritt der Block auch als Unterstützer im Rahmen karitativer Projekte auf, und die Summen, die seine Vertreter den anderen Stadionbesuchern entlocken, sind beachtlich. Nicht zu vergessen seine durchaus soziale und sinnstiftende Funktion an sich. Natürlich wird der Block dazu vom Verein vor den Vorhang gebeten, gelobt und in einem Gesamtkalkül hoffen seine Protagonisten, dass „am jüngsten Tag“ das Positive überwiegen möge. Und ein solcher „jüngster Tag“ könnten die Diskussionen zwischen Verein und Block vor Spielbeginn des Hartberg-Spiels gewesen sein.
Niveaulos
Wir sehen einen niveaulosen Spruch und neigen dazu, aus dem Text auf die geistige Verfassung der Autoren zu schließen. An diesem Punkt muss man sehr vorsichtig sein, denn die Gemeinschaft, von der vorher die Rede war, hat nichts mit einer bestimmten (unteren) Schicht zu tun und es wäre eine grobe Fehleinschätzung, vom Niveau des Spruchs auf das Niveau der Verfasser zu schließen.
Abgewandelt nach Michael Niavarani: „Wer eine Sprache wie in diesem Spruchband spricht, ist kaum in der Lage, das Spruchband logistisch und orthografisch herzustellen und ins Stadion zu bringen.“ Das müssen schon andere für ihn besorgen. ****)
Die Texter benutzen also wahrscheinlich die Sprache der von ihnen Vertretenen, um ihnen damit eine ansonsten nicht erlebte Wichtigkeit zukommen zu lassen. Aber sie benutzen diese Sprache auch, um eben eine dieser Überschreitungen auszuleben. Denn die Spruchbänder der Heimspiele gegen Sturm und WAC zielten in dieselbe Richtung, hatten diese „Qualität“ nicht.
Den Textern der anstößigen Texte geht es weniger um gelebten Sexismus, sondern darum, die Gesellschaft zu provozieren. Und das geht nicht mit einem sachlichen Protest gegen „Unbekannt“ wie man an den Sprüchen der beiden ersten Heimspiele gesehen hat. Daher hat man ein „Schäuferl nachgelegt“ und siehe da, es hat gewirkt; und wie.
Und es ist nicht allein die Provokation, es ist wieder einmal ein Test dafür, wie sehr der Schwanz mit dem Hund wedeln kann, bis dieser sich wehrt. In diesem Fall hat sich der Hund gewehrt – zu spät wie viel meinen.
Da es aber sonst keine weiteren Konsequenzen gab, werden wir auf noch unappetitlichere Spruchbänder warten müssen, die dann vielleicht irgendeine Reaktion in Form einer klaren Regel bewirken werden. Vielleicht wird Rapid auch dann nichts unternehmen, sondern die Bundesliga oder der ÖFB, was auch schon heute im Raum steht.
Die Eltern des Blocks
Der Block beansprucht für sich Freiheiten, die andere in dieser Form nicht brauchen. Man muss niemanden herabwürdigen, um aufzufallen oder um dadurch bedeutender zu sein. Der tiefere Grund für diese Ansprüche des Blocks ist die Grenzsuche von Erwachsenen und die Gründe, die dazu geführt haben, dass es zu diesem kollektiven Bedürfnis geführt hat, sind eigentlich gleichgültig.
In den ständigen Versuchen, rote Linien zu übertreten gleicht der Block einem Kind, das nach Grenzen sucht und diese von den Eltern vorgelebt bekommt.
Der Rapid-Vorstand handelt leider allzu oft nach einem antiautoritären Verhaltensmuster, versucht also die Unarten des „Kindes“ zu übersehen und erntet damit immer wieder, was gesät wurde: das „Kind“ ist immer schwerer zu ertragen, es tanzt den Eltern auf der Nase herum.
Wir alle sind Teil dieses Sozialisierungsprozesses, und wenn wir die Situation als unerträglich empfinden – wie etwa Gustav Starek, der in diesen Tagen seine Mitgliedschaft bei Rapid eben wegen dieser ständigen Eskapaden zurückgelegt hat, dann ist das eine dieser Maßnahmen, die in diesen Angelegenheiten zu setzten wären.
Erwachsen ist der Block nicht, der Block ist ein ewiges Kind. Ältere Kampfgenossen werden erwachsen, verlassen die Kurve und bevölkern die an den Block angrenzenden Tribünen. Nachschub bekommt der Block in ausreichender Zahl durch Jugendliche, die aus vielschichtigen Gründen dort finden, was sie zu Hause nicht ausreichend erlebt haben.
So günstig es für die konstruktive Zusammenarbeit ist, dass im Rapid-Vorstand auch Blockversteher vertreten sind, so schwierig ist deren Situation im Konfliktfall, weil sie es jedem Recht machen wollen. Der Block hat seitens des Vereins leider zu wenig Grenzerfahrungen, und es ist zu befürchten, dass eine höhere Instanz, also die Bundesliga oder der ÖFB diese Grenzen ziehen wird müssen, weil Rapid selbst dazu nicht in der Lage ist.
Also nicht nur der Block missachtet das Leitbild durch sexistische Sprüche, auch Rapid selbst ignoriert das Leitbild, weil auf dessen Einhaltung nicht ausreichend geachtet wird.
Der Block sucht die Grenze, aber Rapid zieht sie nicht, und daher wird es für uns anderen immer unerträglicher. Muss es erst soweit kommen, dass langjährige Abonnenten oder Sponsoren sich von Rapid abwenden, um ein Umdenken zu bewirken?
*) Chaostheorie
Wenn jemand die Unwichtigkeit eines Aspekts zum Ausdruck bringen will, zitiert er oft das „in China umfallende Fahrrad“. Doch ist das nicht so, denn in den schier endlosen Wirkungsketten des Unbedeutenden kommt es eventuell zu einem gravierenden Einfluss auf praktisch alles.
Die Chaostheorie fasst das Sprichwort „Kleine Ursachen, große Wirkungen“ in ein wissenschaftliches Modell.
Beispiele
- Cleopatra’s nose theory: die hübsche Nase der Ägypterin hatte einen großen Einfluss auf die damalige Weltpolitik
- Schmetterlingseffekt: Ein kleiner Luftwirbel, sogar der Flügelschlag eines Schmetterlings, kann sich durch chaotische Entwicklungen nach einigen Tagen oder Wochen zu einem Sturm hochschaukeln. Natürlich kann man deshalb nicht alle Schmetterlinge aus dem Verkehr ziehen, weil diese Wirkungskette nur eine zufällige keine wiederholbare ist. Nicht jeder Schmetterling kann von sich behaupten, einen Sturm ausgelöst zu haben.
- Besonders für Rapidler: der Kaffee im Wirtshaus im Waldviertel im Jahr 1992, bei dem Andy Marek ein „Täglich alles“ mit dem Inserat „Suchen Stadionsprecher“ gelesen hat. Ein Zufall mit Folgen, wie wir wissen. Wir wissen es aber nur im Nachhinein, nicht jeder, der einen Kaffee trinkt, kann darauf eine Karriere aufbauen.
Wäre das Transparent ein anderes gewesen, hätte Rapid gegen Hartberg gewonnen! Normalerweise würde man eine so sinnlose Behauptung nicht aufstellen, aber in der Welt der Zufälle sind die Ursachen-Wirkungs-Ketten nicht vorhersagbar und doch können sie letztlich einen wesentlichen Einfluss auf Tore und Siege haben.
Um ein Spiel zu gewinnen, muss alles passen, darf nichts Ablenkendes das Geschehen beeinflussen. Wenn im Verein Ruhe herrscht, überträgt sich diese Ruhe auch auf die Spieler. Wenn aber im Vorfeld eines Spiels eine hektische Aktivität wegen eines Transparents die Spieler ablenkt, kann das einer dieser winzigen Faktoren sein, die zwischen Sieg und Niederlage entscheiden.
**) Das Anti-Transparent-Transparent
Statt sich nur über die unerfreuliche Allianz zwischen dem Verein und dem Block aufzuregen, wollte ich ein Transparent im Stadion anbringen, welches den Paragraf 4 des Leitbilds „Rapid ist offen“ darstellt. Und das, nachdem Rapid zugegeben hat, dass der sexistische Banner eben diesem Leitbild widerspricht. Dieser Paragraf 4 lautet:
Menschliche Vielfalt war und ist der Motor unseres Erfolgs. Deshalb und aufgrund unserer
sozialen Verantwortung für eine offene Gesellschaft, kann jeder Mensch, der das Wohl
Rapids in den Vordergrund seines Denken und Handelns stellt, Rapidler sein. Egal welchen
Geschlechts, egal welcher Herkunft oder Schicht, und unabhängig von seiner Lebensweise.
Unsere Ursprünge in der Arbeiterbewegung verpflichten uns, insbesondere sozial Benachteiligte zu unterstützen.
Herausgekommen ist folgendes:
Die Regenbogenfarben (violett fehlt) stehen für die Lebensart, die verschiedenfarbigen Personen für die Hautfarbe und Herkunft, dass beiderlei Geschlecht gleichermaßen und gleichrangig vertreten sein sollen, die paarweise Darstellung. Die Symbole für verschiedene Weltanschauungen darüber stehen dafür, dass es eben egal ist, welches Weltbild man mit sich herumträgt. Das „EwkiL“ ist ein Akronym für „Egal woe kummt im Lebn“.
Die erste Rückmeldung war, dass religiöse Symbole nicht erlaubt seien. Gut, ich habe sie entfernt, obwohl damit schon eine wesentliche Aussage des §4 des Leitbilds verloren geht.
Ich musste aber erfahren, dass auch das Regenbogensymbol im Stadion nicht erwünscht ist, auch wenn die violette Farbe klarerweise nicht vertreten war. Also jenes Symbol, das zum Ausdruck bringe, dass jede Lebensweise in Stadion willkommen ist, und dieser Umstand Teil des Rapid-Leitbildes ist, sind diese Farben im Stadion nicht erlaubt.
Was symbolisiert diese Regenbogenfahne? Wikipedia: „Die Regenbogenfahne 🏳️🌈 ist eine Form des Regenbogens als Symbol. Sie steht in zahlreichen Kulturen weltweit für Aufbruch, Veränderung und Frieden, und sie gilt als Zeichen der Toleranz und Akzeptanz, der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht.“
Was überbleibt ist ziemlich nichtssagend, daher wurde das Banner nicht hergestellt.
Etwas überspritzt gesagt: es ist nicht erlaubt, den Inhalt des § 4 des Rapid-Leitbilds symbolhaft darzustellen, weil das Regenbogensymbol ein politisches Statement wäre und weil die symbolische Darstellung religiöser Symbole nicht erlaubt ist, auch wenn die Darstellung keinerlei Werbung für eine dieser Weltanschauungen ist.
Zur Ehrenrettung von Rapid muss man aber einräumen, dass Rapid eine schwierige Phase durchlebt.
***) AntiViola-Plakat
Andy Marek hat bei seinem Abschiedsabend aus diesen grenzwertigen Erlebnissen erzählt. Es wurde mit dem Block eine Choreografie vereinbart und eher durch einen Zufall hat Andy den Inhalt des Textes erfahren, die so nicht hat gezeigt werden dürfen. Die Texter versprachen eine Änderung, doch dieser neue Text stand dem vorigen an Heftigkeit um nichts nach. Siehe Abschiedsabend Andy Marek.
****) Batman-Kostüm
Michael Nivarani erzählte folgende Begebenheit: In einem Batman-Kostüm aus amerikanischer Fertigung stand zu lesen: „Mit diesem Kostüm kann man nicht fliegen„. Nias Schlussfolgerung: „Wenn jemand glaubt, dass man mit einem Batman-Kostüm fliegen kann, der kann das sicher nicht lesen.“