Musculus, der Straßenkehrer
Die märchenhafte Auslegung der ziemlich schwierigen Situation von Rapid in
„Die undankbare Familie“ ist eher etwas für Esoteriker und ist nicht mein Favorit.
Mein Favorit für eine Erklärung unserer Situation liegt darin, dass wir die Ursache in uns selbst zu suchen haben. Salopp gesagt: man kann Titel nicht planen (sie wie man Tore und Siege nicht planen kann). Man kann nur, wie das
Christoph Peschek immer wieder erklärt hat, den Boden für Titel bereiten und diese Hausaufgabe hat Rapid bestens erfüllt.
Aber warum klappt es trotzdem nicht?
Betrachten wir einmal die Ära
Barisic. Die länger-dienenden Rapid-Fans, denen ich in dieser Zeit zugehört habe, waren ziemlich einhellig der Meinung, dass
Zoki eben kein Meistertrainer wäre, weil er die Spieler zu wenig fordern würde. (Sie sagten das etwas drastischer, aber so etwa war der Tenor.)
Wir waren „nur“ auf dem zweiten Platz und man wusste den Grund:
Zoki wäre gut für den zweiten Platz aber eben nicht für mehr. Es bestand eine Übereinstimmung zwischen Erwartungshaltung und Ergebnis. Man war nicht ganz zufrieden aber mehr war halt nicht möglich.
Wenn man sich an die Interviews von
Zoki erinnert, dann hatte man den Eindruck, dass er sich immer schützend vor die Mannschaft gestellt hat und die Mannschaft durch ihn von äußeren Einflüssen abgeschirmt wurde.
Zoki hat immer versucht, den Druck von der Mannschaft zu nehmen.
Die Meinung, das
Zoki kein Meistertrainer sei, dürfte wohl auch die im Präsidium gewesen sein, als man alles zum Angriff auf den Meistertitel vorbereitete. Man stabilisierte die finanzielle Situation, vergrößerte die bürokratische „Kampfmannschaft“ und eröffnete mit großem Elan das Stadion, um eben auf allen Fronten für den Meisterkampf gerüstet zu sein und natürlich sollte auch auf der Trainerfront die beste Lösung gefunden werden.
Alle diese Veränderungen erweckten in uns allen das Gefühl, dass es nur mehr um die Höhe der Siege in der „Grünen Hölle“ gehen würde.
Und der Beginn der Saison fühlte sich auch ganz danach an. Die Mannschaft wurde zu einer unschlagbaren Truppe hochstilisiert.
Das Symbol dafür:
Musculus*), wie er von den Römern inszeniert wurde. Kein Zweifel daran, dass er der Sieger bei den nächsten Spielen werden würde.
So wurde auch die Mannschaft von Rapid behandelt: der unschlagbare
Musculus. Diesem enorme Erwartungsdruck musste Woche für Woche am Spielfeld entsprochen werden. Und es ist ein Unterschied, ob man in Ried mit 4:2 nach Hause fährt mit einem Trainer, dem man den Meistertitel ohnehin nicht zutraut oder ob man die Mannschaft immer an diesem Meisteranspruch misst.
In der Geschichte von
Musculus passierte bei seiner ersten Niederlage folgendes. Das von den Römern in Musculus aufgebaute Selbstvertrauen bricht bei der ersten Begegnung mit der Realität in Form der beiden Gallier
Asterix und
Obelix in sich zusammen. Er wird in allen Disziplinen, in denen er als unschlagbar gegolten hat, besiegt. Noch nicht einmal bei den Spielen, denn da wäre die Geschichte schon zu Ende; einfach nur in einer Trainingssituation.
In einem Wettbewerb ist das normal, dass man auch einmal verliert; nicht aber, wenn alle sagen, man sei der haushohe Favorit. An diesem Anspruch scheitert
Musculus und degradiert sich selbst zu einem Straßenkehrer. Er sagt, er sei nicht würdig, Rom bei den Olympischen Spielen zu vertreten.
Wer die „Verabschiedung“ der Spieler am Ende des Spiels in Ried gesehen hat, meinte in der Mannschaft diesen straßenkehrenden
Musculus zu erkennen, einen sportlicher Giganten, der durch die Behandlung durch das Umfeld die Bodenhaftung verloren hat. Sein Selbstwertgefühl ist auf einem Tiefpunkt angelangt.
Die Diskrepanz zwischen der fußballerischen Realität und unser aller Verlangen nach einem Titel so groß ist, dass darunter das Selbstvertrauen der Mannschaft enorm gelitten hat. Und daher vermute ich, dass Rapid auch unter einem
Zoki Barisic einen Negativlauf gehabt hätte. Anders natürlich, aber eben auch. Siehe auch der
Erklärungsversuch nach dem Spiel Ried-Rapid.
Dass Kapitäne handeln müssen, kann man schon im Film „Titanic“ beobachten. Und auch im Film „Rapid“ wurde rasch gehandelt und der Trainer ersetzt.
An dieser Stelle wusste man auch auf der Titanic nicht so recht, wie weit das Wasser schon eingedrungen war. Wenn es nur ein Film wäre…
*)
Uderzo und
Goscinny; Asterix Band 12. Asterix bei den Olympischen Spielen