Terroristen

Seit ich Fußballplätze besuche, wundere ich mich über diverse Transparente und versuche sie zu verstehen; insbesondere, wenn auf einem Transparent oder im Fangesang jemand (meist eine Gruppe) wüst beschimpft wird. Ganz wörtlich nehmen darf man wohl keinen der Sprüche, das wird allen Beteiligten wohl klar sein. Aus dieser Beobachtung haben sich zwei Beiträge ergeben (Links am Ende). Wenn zum Beispiel jemand meint, irgendeine Gruppe verunglimpfen zu müssen, und diese Gruppe wären mehr als nur ein paar Personen, also zum Beispiel Bauern, Journalisten, Polizisten, Politiker oder Fans des jeweiligen Gegners und dann zum Beispiel sagt: „~schweine“, dann wird ein einzelner Bauer, Journalist, Polizist, Politiker oder Fan es schwer damit haben, einen Beweis zu führen, dass er persönlich damit gemeint sein könnte. Das wurde ausführlich im Beitrag „Fußballplatz, Ort gelebter Meinungsfreiheit“ ausgeführt. Auch wissen wir spätestens seit der Mitgliederversammlung im Mai, dass die „Milieubedingte Unmutsäußerung“ (mein Rapid-Wort des Jahres) von niemand geringerem als dem Rapid-Ethik-Komitee kreiert wurde und dass man an die Wortwahl nicht denselben Maßstab anlegen kann wie das zum Beispiel bei einer persönlichen Beleidigung der Fall wäre. Speziell die Blätter des Boulevards – aber im Zusammenhang mit Fußball auch die höherwertigen Medien – neigen dazu, sich schrecklich über die bösen Rapid-Fans aufzuregen; über ein paar Feuerzeuge, die sich seit Menschengedenken den Weg durch die Maschen des Schutznetzes gebahnt haben (früher auch ganz ohne Schutznetz) und die unerlaubterweise über das rein Verbale hinausgehen. Neuerdings ist das alles ein Drama. Ja, die Zeiten ändern sich. Die Medien erstellen nicht nur ein verzerrtes Bild von den Ereignisse auf Fußballplätzen, sondern schaden auch dem Fußball im Allgemeinen und Rapid im Besonderen. Das kann ich aus vielen Gesprächen mit Menschen berichten, die das Geschehen bei Fußballspielen nur aus der Zeitung kennen. Nie würden diese Menschen es wagen, sich auf einen Fußballplatz begeben. Genau so wenig würden sie sich mit Internet oder anderen – ihrer Meinung nach – Modeerscheinungen auseinandersetzen wollen, weil sie in der Zeitung ihrer Wahl nur Schlechtes darüber gelesen haben. Die Medien berichten nicht über die Leistung, eine Gruppe von mehreren Tausend bunt zusammengewürfelten Personen zu einer überwiegend disziplinierten Einheit zusammenzuschweißen. Sie berichten nicht über die sozialen Bande sich in diesen Gruppen bilden, die diesem wunderbaren Biotop „Fußball“ zu danken sind. Sie berichten nicht über die Sozialarbeit, die hier geleistet wird. Sie berichtet nicht über die Zuwendung an einzelne Mitglieder via Transparent, die man bei fast jedem Spiel sehen kann. Sie berichten nicht über die Spendenaktionen für die Gruft, für Kranke, egal ob Fan oder Spieler. Sie berichten nicht darüber, dass für viele Mitglieder des Block-West die kreative Arbeit an den Choreografien eine Bestätigung ist, die sie möglicherweise in ihrem Alltag nicht in derselben Weise erfahren. Sie berichten nicht über die Organisation beachtlicher Veranstaltungen wie zum Beispiel das Block-West-Fest, die jährlichen Punsch-Stände und zuletzt auch die tolle Filmvorführung im Gartenbau-Kino. Aber sie berichten über jeden Ausbruch von Emotion, bei einem Spiel, das von Emotionen lebt und entrüsten sich darüber. Wir können ja gerne einmal gemeinsam darüber nachdenken, wie das überhaupt möglich ist, so viele Menschen unter diesem gemeinsamen Block-Gedanken zu vereinigen, wo doch klassische Vereine eher an Mitgliederschwund leiden. Wie sehr man sich von dieser Berichterstattung betroffen fühlt, hängt damit zusammen, wie viel man selbst in „Fußball“ investiert. Wenn wir beim nächsten Spiel die nächste Choreografie des Block-West bewundern werden, dann ist uns nicht immer gleich auch bewusst, dass es eine Menge Aufwand war, sie zu planen, zu finanzieren und herzustellen. Und mit diesem Aufwand steigt natürlich auch die Identifikation und die Emotionen sind einfach größer als die eines „Sitzplatzschweins“ auf Ost- Nord- oder West-Tribüne; ganz abgesehen von der viel stärkeren Dynamik innerhalb der Gruppe, denn alle anderen Besucher sind bestenfalls in Kleingruppen organisiert und kennen nicht die Kraft, die von einem Kollektiv ausgeht. Würde also jemand in meiner Sitzumgebung etwas auf das Spielfeld werfen wollen, würden die Sitznachbarn eher versuchen, das zu verhindern, wohingegen in einem Kollektiv das eher zur Nachahmung anregt. Wenn also jeder Einzelne in einer Gruppe, die vom Rapid-Fanblock pauschal beschimpft worden ist, vom Rapid-Präsidium Klarstellungen verlangt – wie das zuletzt in der Presse zu lesen war – dann müsste man dort ein eigenes Büro für solche Anliegen einrichten. „Bauernschweine“ – „Journalisten-Terroristen“ – „Salzburger Oaschlecha“ – „Viola Merda“ usw.  Alles pauschale Aussagen, deren Übertreibungsgrad so evident ist, dass man sich nicht weiter darüber aufregen kann. Die Journalisten haben ein bisschen Reim-Pech. Eigentlich passt das Wort „Terroristen“ gar nicht zu ihnen, denn der „Terrorist“ ist eigentlich der Block. Die wenig angreifbare Überlegenheit der Journalisten glaubt der Block nur mit dem „Terror“ eines Spruchbandes der „milieubedingten Unmutsäußerung“ begegnen zu können. Als Alternative bietet sich durchaus gezielte Pressearbeit an, bei der man sich auch der Ressourcen der Rapid-Pressestelle bedienen könnte. Es könnte ja sein, dass die von außen wenig einsehbare Welt des Blocks etwas an Einblicken vertragen könnte, die man über gezielte Pressearbeit vermitteln würde. Eine solche Vorgangsweise passt aber so gar nicht zum Selbstverständnis des Blocks, dessen Bindekräfte gerade durch solche Aktionen entstehen.*)

Die Journaille

Interessanterweise sind die Journalisten selbst auch nicht besonders zimperlich in ihrer Wortwahl und bezeichneten in einem Artikel die Rapid-Ultras als „Grün-Weiße-Taliban“, befanden aber selbst, dass diese Bezeichnung zulässig sei, etwas, das sie den Ultras umgekehrt nicht zubilligen.

*) Was verbindet den Block?

Zum letzten Satz: „Eine solche Vorgangsweise passt aber so gar nicht zum Selbstverständnis des Blocks, dessen Bindekräfte gerade durch solche Aktionen entstehen.“ Der Satz ist eine Anspielung auf ein komplexeres Thema, das etwa lauten könnte: „Wie tickt der Block-West?“ Wie sollte eigentlich der Umgang mit Transparenten sein? Eigentlich sollte es so sein: Jedes Transparent, das im Stadion gezeigt wird, müsste im Vorfeld von Rapid genehmigt werden. Mich hat immer schon gewundert, dass das nicht so ist. Aber was würde schon dabei herauskommen? Es würde jede Spontaneität verloren gehen, und wir würden nur mehr Zensuriertes zu lesen bekommen. Nehmen wir einmal an, der Block wäre eine Firma und diese Firma hätte ein Problem mit der Darstellung ihrer Geschäftstätigkeit durch die Presse. Diese „Firma“ würde eine Pressestelle einrichten, die dann versucht, durch regelmäßige Berichte die Pressevertreter zu informieren und ein positives Bild von sich zu zeichnen. Das geschieht völlig friktionsfrei und erfordert keine „Terroristen-Sager“. Es werden deswegen nicht gleich Lobeshymnen über die „Firma“ publiziert werden aber es kann schon sein, dass das Thema „Block-West“ einmal pro Saison in einem Artikel dargestellt wird, der Inhalte dieser Aussendungen berücksichtigt und auch die anderen Seiten dieser Gemeinschaft aufzeigt. Warum hat also der Block keine Pressestelle? Das „Geschäft“ des Blocks ist keine konstruktive Zusammenarbeit mit egal-wem. So, wie der Block auftritt ist er „gegen alles und jeden“. Es geht nicht um Kooperation sondern um Konfrontation. Und man braucht diese Konfrontation. Gemeinsame Feinde wirken einigend, besonders, wenn der Block sehr heterogen ist. Eigentlich sollte als „Feind“ der jeweilige Gegner (und dessen Fans) bei der jeweiligen Begegnung genügen, aber je größer der Block, desto mehr Bindekraft benötigt er und daher braucht er auch weitere Gegner, sei es die Polizei, die Justiz oder eben die Presse. Der Text „Journalisten-Terroristen“ hat daher eine Doppelfunktion: Einerseits deutet er berechtigterweise (aber übertrieben) an, dass die eigene Arbeit nicht korrekt dargestellt wird, aber anderseits vergattert der Spruch alle Block-Mitglieder in einer kollektiven Opposition gegen den Gegner „Presse“. Und wenn sich Rapid zukünftig die Texte vorlegen lassen wird, dann auch gegen der Rapid.

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